Auszeit in Neuseeland und Australien

Unsere liebe Freundin Gerdi aus Buttenheim übernimmt die Aktualisierung und Pflege dieser Seite während wir in Neuseeland sind. An dieser Stelle einen herzlichen Dank an Dich, Gerdi. 

 

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Diese Website stellt unser Tagebuch während unserer Auszeit von Mitte November 2003 bis Ende März 2004 dar. Etwa alle 1-2 Wochen findet Ihr hier Kurioses, Interessantes, Lustiges und Wissenswertes von unserer Reise.

Die Einträge gliedern sich von unten nach oben. Das aktuellste Erlebnis folgt gleich hier im Anschluß:

 

26. März 2004

England ruft

Das Unmögliche ist möglich geworden, das Unfassbare fassbar. Unsere „never ending story“ ist zu Ende! Neuseeland ist zu unseren zweiten Heimat geworden. 18.000 beeindruckende Kilometer liegen hinter uns, 13.500 davon auf neuseelaendischem Boden.
Wir fuhren durch Landschaften, die so schön waren, dass es weh tat. Sattgrüne Hügel, unergründliche Seen, rotglühende Himmel. In meinem Bauch breitet sich ein Gefühl aus, als hätte ich Glasscherben geschluckt, als die letzten fünf Monate in meinem Kopf revue passieren
Und dennoch haben wir einen Favouriten auf Kiwi Island. Die Bewohner! Hilfsbereitschaft, grenzenlose Gastfreundschaft, Freundlichkeit und Offenheit haben uns beeindruckt. Die Welt faengt im Menschen an! Mit unseren neuen Freunde Murray und Kathy, Chris und Freya haben wir stundenlang Gedanken ausgetauscht. Ideen wurden geboren und wieder begraben. Endlose Geschichten erfüllten die lauen Sommernächte.
Ob wir uns vorstellen koennten, in Neuseeland zu wohnen, werden wir
gefragt. Traum und Realität scheinen in der Luft aufeinanderzuprallen. Schon längst haben wir diese Frage für uns mit einem eindeutigen "ja" beantwortet. Neuseeland hat uns um seinen grünen Finger gewickelt, wir sind gefangen genommen von seinem Charme. Jeder Euro war es wert, in diese Reise investiert zu werden. Denn das was wir mit nach Hause nehmen ist unbezahlbar.
Aber selbst unter offenem Himmel hat die Freiheit ihre Grenzen. Zuerst einmal wartet London auf uns. Wir werden ab ersten April in den Arbeitsalltag zurück kehren. Leergeräumte Gehaltskonten wollen aufgefüllt werden und in Kürze wird uns wieder das ganz normalen Leben in Beschlag nehmen. Ingos neues Jobangebot bindet uns für drei Jahre an die Weltmetropole. Genug Zeit, um über neue Pläne und Ziele in der Zukunft zu sinnieren.

20. Februar 2004

Ein harter Arbeitstag

"....we have plenty of room and we would love to see you again...." welch wundervolle Worte in einer eMail! Jannette und Murray Jensen zusammen mit ihren fuenf Kindern haben wir vor etwa drei Monaten auf einem Campingplatz am Mount Cook kennengelernt. Wir befinden uns etwa 230 Kilometer vor Auckland, als wir uns durch eine gruene huegelige Landschaft in der Bay of Plenty schlaengeln, auf der Suche nach der richtigen Strasse, oder besser gesagt nach DER Strasse. Hier ist wirklich das Ende der Welt, zumindest kann man es von hier aus sehen. Das weisse Holzhaus steht einsam auf der Spitze einer dieser gruenen Erhebungen, umgeben von Waeldern und Wiesen. So weit abseits wir uns auch in der Pampa befinden, hier findet das wirkliche Leben statt! Die fuenfjaehrigen Zwillinge Scott und Kate kommen uns kreischend entgegen gerannt, wollen mit auf den Motorraedern sitzen. Von Schuechternheit keine Spur. "We are twins!" werden wir sofort aufgeklaert. Alles klar! Die Zahnluecken der beiden unterscheiden sich lediglich in der Breite. Scott fuehrt mit einer Zahnesbreite und macht dies mit seiner wackelnden Zungenspitze durch die Luecke hindurch kenntlich. Die 10jaehrige Tessa ist die Taenzerin unter den Kindern. Ballett, Jazz und Steptanz sind ihre Leidenschaft. Ihre braunen, welligen Haare wedeln um ihre Schultern, waehrend sie singend durch den Garten tanzt. Dann gibt es noch Steven, der nach der Schule nach Frankreich gehen will, um dort die Kunst des Kochens zu erlernen. Haylee ist eigentlich schon erwachsen. Mit ihren 16 Jahren ist sie der ruhende Pol und versucht ihre Eltern bei der "Raubtierfuetterung" oder dem Zubettbringen der kleineren Geschwistern zur Hand zu gehen. Es herrscht eine angenehme Harmonie in dieser Familie. Kein Streit, keine boesen Worte und staendig ertoent ein "Thank you, Mum" durch die Raeume.

Murray und Jannett sind Farmer, versuchen uns deutlich zu machen, wie deren Tagesablauf aussieht. So richtig kann ich mir das alles nicht vorstellen. Gut, da sind 300 Rehe auf der Farm, deren spaetere Steaks fuer den europaeischen Markt vorgesehen sind. Aber ganz ehrlich, sie stehen doch den ganzen Tag auf einer schoenen gruenen Wiese herum, fressen alleine ihr Gras, ohne jemanden zur Last zu fallen. Und die Kiwiplantagen, naja, dafuer gibts doch die ganzen Touristen mit Arbeitsvisum, die sich mit "Fruitpicking" ihren Langzeiturlaub ermoeglichen. Murray schmunzelt, als er meine Staedter-Ansicht hoert. Er laedt uns ein, den morgigen Arbeitstag mit auf der Farm zu verbringen. Coole Idee!

Gluecklicherweise bekommen wir morgens "Travellerverschonung". Unsere Wecker klingeln nicht um fuenf Uhr, wir duerfen ausschlafen und in Ruhe fruehstuecken, bevor es richtig losgeht. Zuerst einmal will das Rehkitz "Beedee" gefuettert werden. Die Milchflasche mit der angeruehrten Milch steht schon bereit und fast ein bisschen beleidigt nuckelt Beedee schmatzend an dem verspaeteten Brekki. Danach heisst es fuer uns 'rein in den Blaumann und 'rauf auf den Pickup. Die beiden Farmershunde springen gekonnt auf den hinteren Teil der Ladeflaeche und schon gehts los ueber Schleichwege und Schottertracks zu den Rehgehegen. Fuer heute ist eine Bestaeubungsaktion vorgesehen. Ein Mittel wird direkt auf das Fell gespritzt, um die Tiere vor schaedlichen Wuermern zu schuetzen, die Lunge und Magen angreifen. "Na gut, mal eben mit der Spritze rumlaufen. Kein Problem!" denke ich mir. Nur ganz so einfach ist das nicht.  Alle 300 Rehe muessen von der Weide zusammen getrieben werden, um in einer grossen Holzscheune gesammelt und behandelt zu werden. Die Hunde werden losgelassen und Murray schwingt sich auf seine Crossmaschine. Die scheuen Tiere denken gar nicht daran, sich in Richtung hoelzerne Huette leiten zu lassen. Nahezu zusammenklebend rennen sie von einer Ecke der Weide zur anderen, bergauf und bergab, die Hunde klaeffend hinterher. Murray kommt zurueck, ziemlich ausser Atem. "Die Arbeit wird durch den Wind erschwert. Er kommt aus der falschen Richtung und ist zu stark. Das macht die Tiere noch sensibler und unruhiger" erklaert er.  Einen letzten Versuch will er noch starten. Diesmal erfolgreicher laesst sich die Herde in die richtige Richtung lenken, rennt mit ein bisschen Widerwillen auf die Scheune zu. Eine Haelfte ist bereits durch die Tuer ins Innere gelangt, als sich die andere Haelfte zum Umkehren entschliesst. Murray steht mit seiner Crossmaschine direkt hinter ihnen. 600 aufgebrachte Hufe rennen auf  ihn zu, stuerzen sein Motorrad zu Boden. Murray wirft sich unmittelbar dahinter auf den Boden in den Schlamm. Seine Arme schuetzend ueber seinen Kopf gerichtet springt ein Tier nach dem anderen ueber das Mensch-Motorrad-Hindernis. Das kann auch anders ausgehen!  Die Jagd erfolgt auf's Neue. Aber irgendwann ist es tatsaechlich geschafft, und alle Rehe sind im hoelzernen Unterstand versammelt. Nun beginnt die eigentliche Arbeit. Die Scheune besteht aus einem riesigen Rondell, das durch etwa fuenf Tore in einzelne Parzellen unterteilt ist. In die Mitte des Rondells fuehren Tueren, die die abgetrennten Bereiche mit dem Inneren verbindet. Die Rehe verteilen sich auf die gesamte Laenge des Rondells. Tueren verschliessen sich. Nun koennen die Kleingruppen  in Ruhe behandelt werden. Pro Behandlung werden etwa 10 Tiere in die Mitte gelassen, um eine kurze und schmerzlose Portion aus der Pumppistole zu erhalten. Direkt auf das Fell wird das fluessige Mittel gespritzt. Es dauert keine zwei Minuten bis alles ueberstanden und die naechste Gruppe an der Reihe ist. So lange, bis die gesamte Herde "bearbeitet" ist. Nach zwei Stunden sitzen wir erschoepft und staubig im Pickup auf dem Weg zur Kiwifarm.

Riesige gruene Felder mit Kiwipflanzen zieren die Landschaft. Murrays Bruder Chris und sein Vater John warten bereits auf uns um als Spezialisten auf diesem Gebiet die Aufklaerungsarbeit zu leisten. Dutzende von Hektar sind bepflanzt mit gruenen und goldenen Kiwis, um in wenigen Wochen abgeerntet zu werden. "Jeder fuenfte Baum in jeder Reihe ist maennlich." erklaert John geduldig. "Und durch den Wind und die Bienen beginnt im Fruehjahr die Bestaeubung, um all diese guten Fruechte hier zu erhalten." Er pflueckt eine eigrosse Golden Kiwi vom Baum, und haelt sie mir unter die Nase. Noch sind sie sauer und die Kerne im Inneren hell. Aber dank der starken neuseelaendischen Sonne reifen sie rasch zu suessen, saftigen Fruechten heran. Solch ein riesiges Feld anzulegen mit all den Bolzen und Draehten, um die Zweige und Ableger zu tragen, kostet etwa 50.000 Dollar und beinhaltet Arbeit fuer zwei Monate. Danach dauert es ca. 4 Jahre, bis eine Pflanze Fruechte traegt. Bis dies soweit ist, muessen die Boeden geduengt, treibende Zweige zurecht geschnitten und Staemme befestigt werden.

Nach leckerer Hackfleischlasagne mit Kartoffelecken und Salat lehne ich mich gerade gemuetlich und schlaefrig auf meinen Stuhl zurueck, als Murray uns klarmacht, dass der Arbeitstag noch nicht zu Ende sei. Zahlreiche Possums treiben in der Gegend ihr Unwesen, zerstoeren Futterfelder und Baeume, muessen gejagt und geschossen werden. Nein, wehre ich ab, ich bleibe hier, Tiere habe ich noch nie geschossen und kann das auch nicht. Erst als Murray verspricht, das Abschiessen auf einen der naechsten Abende zu verschieben, lasse ich mich ueberreden, zum Possum-Suchen mitzukommen. Hell leuchten die Sterne vom schwarzen Nachthimmel auf uns herab, als wir uns erneut in den Pickup begeben, um durch schlafende Kuehe, aufgeschreckte Rehe und huckelige Wiesen zu fahren. Nach wenigen Kilometern sitzt bereits das erste Possum friedlich kauend im Scheinwerferlicht des Pickup. Die Tiere, die einst von Australien importiert wurden, richten in der Land- und Forstwirtschaft immense Schaeden an, zerstoeren Baeume, toeten Voegel und fressen Pflanzen und Blaetter. Ohne einen einzigen natuerlichen Feind sind sie in Neuseeland zusammen mit den Karnickeln zur regelrechten Plage geworden. Um 22 Uhr liegen wir fix und fertig im Bett und verfallen in Kuerze in den wohlverdienten Tiefschlaf. Nach dem heutigen Tag weiss ich es zu schaetzen, was ein Farmer taeglich zu leisten hat.

 

 17. Maerz 2004

Faszination einer Vulkanlandschaft

6.30 Uhr. Erbarmungslos und markerschuetternd erfuellt das Fiepen des Weckers die eiskalte Morgenluft. Bei fuenf Grad Celsius faellt uns das Aufstehen aus dem mit weissem Reif bedeckten Zelt nicht leicht. Aber wir schlagen uns tapfer gegen die Schlafsackwaerme und huellen uns ein in Fleece und Wanderschuhe. Auf uns wartet die 17 Kilometer lange Tongariro-Crossing-Wanderung im Tongariro National Park. Vor etwa drei Monaten verbrachten wir hier bereits einige Tage. Das Wetter machte uns damals einen Strich durch die Rechnung, die insgesamt 750 Hoehenmeter der Tageswanderung in Angriff zu nehmen. Anders sieht es heute aus. Noch versteckt sich der gelbe Ball hinter den Bergen, aber der klare Himmel verheisst einen sonnigen Tag. Sieben Stunden liegen vor uns, als uns der Busfahrer mit einem vielversprechenden Laecheln an der Mangatepopo Road entlaesst, dem Ausgangspunkt der Wanderung.

Eine gruengraue, alpine Vulkanlandschaft liegt vor uns. In einem kleinen Tal zu unserer Linken plaetschert ein klares, eiskaltes Baechlein, das Mangatepopo Fluesschen. Dunkelgraue Sandbaenke aus feinstem Vulkanstaub werden von dem Wasser umspuelt, das sich auf verschiedenen Stufen in grossen Pfuetzen sammelt. Ein unangenhmer Geruch von faulen Eiern haengt in der Luft, verursacht durch den hohen Schwefelgehalt in dieser Vulkangegend. Die erstarrten schwarzen Lavafluesse liegen dem im Schatten ruhenden Mount Tongariro zu Fuessen. Zoegerlich quaelt sich die Sonne ueber den Berg, als sich die ersten Hoehenmeter vor uns auftun. Der etwa 500 Meter lange Aufstieg auf den Magatepopo Saddle fuehrt ueber rissiges, schwarzes Lavagestein. Innerhalb weniger Minuten laeuft der Schweiss in kleinen Rinnsaelen von unseren Ruecken. Ein Schritt vor, einer zurueck scheint hier die Devise zu lauten. “Wie die Gemsen!” kommentiert eine keuchende Frau hinter mir. “Ja, nur nicht ganz so leichtfuessig!” meine nicht weniger luftarme Antwort. Nach 45 Minuten Quaelerei werden wir mit einem wunderschoenen Panoramablick vom Kraterrand ueber das gesamte Bergmassiv belohnt. Unglaublich, aus welchen dunklen Felsspalten sich Leben herauszwaengt. Winzig kleine Bluemchen mit weissen Bluetenspitzen wachsen neben leuchtend goldgelben Grasbuescheln aus dem versteinerten Vulkanfluss hindurch.

Duenne Schleierwolken umziehen den Mount Ngauruhoe, der mit 2287 Metern in knappen drei Stunden bestiegen werden kann. Wir allerdings durchqueren die flache Pfanne des South Craters, eine riesige Sandwueste des mittlerweile stillen Kraterbodens. Anschliessend orientieren wir uns auf dem okkerfarbenem Geroell des Bergrueckens dem hoechsten Punkt entgegen. Eine aufregende Farbenszenerie tut sich auf. Dem vor uns liegenden, drohenden Schlund entweichen Schwefeldaempfe, nehmen uns die Luft zum Atmen. Die hervorquellenden Dampfwolken verhuellt die purpurroten und schwarzen Kesselwaende, die sich wie rotgluehender Stahl in den Fels bohren. Unter uns schimmert das Wasser der farbenfrohen Emeral Lakes in einer Mischung aus hellblau und smaragdgruen.  

Der Abstieg erweist sich als Rutschpartie. Lose, herabpurzelnde Steine, dazwischen die Staubwolken der Vulkanasche. Schritt fuer Schritt tasten wir uns vorwaerts. Andere sind mutiger, rennen, oder besser rutschen in langen, kraeftigen Schritten den Geroellhang hinunter. Wir passieren den Blue Lake, in dessen Anschluss der weniger spektakulaere Teil der Wanderung beginnt. Entlang bewachsener Haenge, durch Gestruepp und Grasbueschel werden wir in Serpentinen ins Tal gefuehrt. Die letzte Stunde kommt uns nicht endend vor, als wir einen schattigen Busch durchqueren, um den Parkplatz der Ketetahi Road zu erreichen. Ein verstaendnisvoll schmunzelnder Fahrer erwartet uns, als wir ausgelaugt und verschwitzt durch die Bustuer stolpern.

 

8. Maerz 2004

Die Great Ocean Road ist ein "Muss" auf einer Reise durch den Bundesstaat Victoria. Ueber 300 Kilometer reihen sich die Attraktionen wie Perlen einer Kette aneinander, fuehren uns entlang eines eindrucksvollen Kuestenstreifens Australiens. Bizarre, wellenumtoste Felsformationen zieren die langen Sandstraende. Die London Bridge, ein eingestuerzter, brueckenaehnlicher Landvorsprung, ragt aus dem gischtenden Wasser hervor. Am Abend des 15. Januar 1990 stuerzte er ohne Vorwarnung ins Meer. Zwei Personen befanden sich damals auf dem Felsen und mussten per Hubschrauber gerettet werden. Seitdem wird er taeglich von hunderten Touristen bestaunt. Die schroffen Felsgruppen der Twelve Apostels schmuecken die langen Sandstraende in der rauhen Kuestenlandschaft. 40 Meter ragen die Inseln in die Hoehe, wobei die 12 Apostel in Wirklichkeit nur 11 sind. Ein zwoelfter Felsblock ist sozusagen in Arbeit. Das Wasser unterspuelt eine riesige Kante des Festlandes, die somit langsam getrennt wird. Heisser, heftiger Wind weht uns um die Ohren, als wir die steilen Kuestencliffs verlassen und uns bei Lavers Hill in die kuehle, gruene Hoehle eines kleinen Regenwaldgebietes begeben. Zusammen mit lilafarbenen, kelchfoermigen Bluemchen saeumen wunderschoene, sattgruene Farne den Weg durch den schattigen Wald. Eine Wohltat nach den Backofentemperaturen an der Kueste. Der Anblick eines ueber 300 Jahre alten Giant Gum, zur Familie der Eukalyptusbaeume gehoerend, laesst unsere Herzen hoeher schlagen. Mit einem stattlichen Umfang von 28 Metern wirkt er wie der beruehmte Elefant im Porzellanladen.  

 

Not ohne Brot

Ingo hat ein Problem! Besser gesagt ein Brotproblem. Er hat die Nase voll von dem labbrigen Weissbrot, egal ob mit oder ohne Koerner, weiss oder braun, geschnitten oder als ganzen Laib. "Ich will RICHTIGES Vollkornbrot!" Trotzig laeuft er durch den Supermarkt, grast Gang fuer Gang ab auf der Suche nach dem Unmoeglichen. Das 750 Gramm Paket Vollkornmehl im Regal springt ihn foermlich an. Hey, warum nicht selber backen! Unser Bulli hat einen etwa 7 cm hohen Miniaturbackofen vorzuweisen, der mit Gas betrieben wird. Hmmmm, knuspriges Vollkornbrot, mit Maiskolben " Oh, ich kann den Abend gar nicht erwarten! Die Hemdsaermel hochgekraempelt mache ich mich ans Werk. Oel, Salz, Wasser und Mehl vermischen sich kurz vor Sonnenuntergang zu einem homogenen Teig. Meine Haende formen einen flachen Fladen und schnell ist der "Braten in der Roehre" Nach 20 Minuten stroemt ein wuerziger Duft durch die warme Abendluft, der uns das Wasser im Mund zusammen laufen laesst. Hellbraun und knusprig liegt das Oval vor uns. Die Kruste kracht beim Durchschneiden und der heisse Teig der dicken Scheiben bleibt an der Stahlklinge des Messers kleben. Einen Hauch Butter darauf gestrichen und eine Knoblauchzehe in Scheiben. Ein Genuss! Und hier am Ende der Welt fragt sowieso niemand, wie wir riechen.

 

3. Maerz 2004

Autorennen in Mildura, die deutsche Presse ist vertreten. Dicke Speckrollen dominieren die Taillie, die in ein rosafarbenes, bauchfreies Spaghetti-Top gezwaengt ist. Junge Maedels flanieren ueber die Rasenflaeche, die vollgefuellt mit Klappstuehlen und Picknickdecken ist. Taetovierte Oberarme, sonnengegaerbte Haut und dicke Bierbaeuche warten auf den Beginn des Rennens. Der Geruch von Pommes, Sausage Rolls und Pizza liegt in der Luft. Ein kugelrunder, sommersprossiger Junge spielt mit seinen Kumpels Fangen, nicht ohne regelmaessig anzuhalten um Suessigkeiten aus der Hosentasche in seinen Mund zu stopfen. Australier zaehlen nicht zu den Duennsten. Liegt es am Fastfood? Am Bierkonsum? Oder an der mangelnden Bewegung aufgrund der Inlandshitze? Mittlerweile ist ueber den Abendhimmel die Nacht herein gezogen. Dutzende Flutlichter erleuchten den Race Course, in dessen Mitte die australische Flagge im lauen Wind flattert. Das gesamte Doerfchen ist vertreten auf Timmis Speedway in Mildura. Mama, Papa, Oma, Opa, Kind und Kegel. Dann endlich tut sich etwas. Kunterbunte, verbeulte Autos befahren roehrend und knatternd den Race Course. Ausgebaute Beifahrersitze, fehlende Fensterscheiben, lichtlose Scheinwerfer, zugeschweisste Tueren. Verkehrssicher sind die  Street Stocks, Bobcats und Sprintcars garantiert nicht mehr. Die Lautsprecherstimme stellt Fahrer samt Blechhaufen vor, informiert ueber Siege und Niederlagen und beschreibt den Verlauf des Rennens. Zwei Showrunden sind zu drehen, dann geht es los. Stossstange klebt an Stossstange, als der Start erfolgt. Die gruene Fahne zeigt an: Start geglueckt! Steine und Sand wirbeln durch die Luft, nehmen uns die Luft zum Atmen. Mit Vollgas rasen die Fahrer ueber die ca. 600 Meter lange Runde, ohne auch nur einmal wirklich abzubremsen. Die Kurven, unglaublich! Mit welcher Geschicklichkeit bei diesem hohen Tempo! Nach vier Runden ist der ganze Zauber vorbei. Der rote Blechhaufen gewinnt. Ingo will sich das Fahrerlager ansehen um zu fotografieren und marschiert auf den Kerl zu, der am Eingang herumlungert. "Kein Zutritt!" bekommt er als Absage zu hoeren. Die Oberarme des Typens machen meinen Oberschenkeln Konkurrenz. Davon laesst sich Ingo allerdings nicht beeindrucken. In laessigem Ton fragt er, zu wem er gehen muesse, um eine Einlasserlaubnis zu erhalten. Nach drei Anlaufstellen hat er den gewuenschten Erfolg. Zwei Zettel werden ihm unter die Nase gehalten, die er ungelesen unterschreibt. Wahrscheinlich die Entbindungserklaerung. Das wichtige blaue Band schmueckt nun sein linkes Handgelenk und ab sofort zaehlt er als offizieller deutscher Pressefotograph. Rambo am Eingang wirft ihm ein cooles "How are you?" entgegen, waehrend ihn seine schinkengrosse Hand durch das Gatter winkt. Im grellen Scheinwerferlicht, umgeben von Reifenstapeln wird gefachsimpelt und diskutiert. Schweiss tropft von den Koepfen der Fahrer und Coache waehrend Zylinderkoepfe ausgebaut, Bremsen eingestellt und Getriebe zerlegt werden. Stress liegt in der Luft. Reifen wechseln, Zuendkerzen checken und das alles unter Zeitdruck. Da faellt schon das eine oder andere Schimpfwort...

 

Fliegen in saemtlichen Loechern

Wie das aufgesperrte Maul einer ueberdimensionalen Riesenechse beherrschen die schroffen Gesteinsformationen auf dem Mount Victory das Victoria Valley. Die "Balconies" praesentieren einen wunderschoenen Ausblick ueber das Tal, das von Buschland bestimmt wird. Aussichtspunkte und Wasserfaelle beschaeftigen uns einen gesamten Tag mit Sightseeing im Grampiens Nationalpark. Wanderwege entlang hoher Baeume und dominierender Farnpflanzen fuehren uns zu grandiosen Stellen. Mac Kenzie Falls, Silverband Falls, Boroka Lookout und wie sie alle heissen. Es ist einmalig, den Teebaum, aus dem das heilende Teatree-Oil hergestellt wird, in der freien Natur zu riechen. Bislang kannte ich den Geruch lediglich aus unserem Arzneimittelschraenkchen zu Hause. Das einzig stoerende sind die penedranten Fliegen um uns herum, die vornehmlich in die Nasenloecher und Ohren kriechen. Man sagt, genau diese Fliegen sind Schuld an der nuschelnden Sprechweise der Australier und an deren Vorliebe fuer Abkuerzungen. Jede Silbe weniger, laesst den Mund beim Sprechen weniger lange geoeffnet sein. Den Fliegen bleibt somit keine Zeit mehr, hineinzugelangen.

 

26. Februar 2004

Schwarzer Schreck im Outback

Ein alter Toyota Campervan wartet auf uns. Seine Groesse ist vergleichbar mit unserem Bulli "Otto",was aber auch schon alles ist. 380.000 km stehen auf seinem Tacho,  Schaltung und Kupplung sind dermassen ausgeleiert, dass man oftmals beide Haende und Fuesse benutzen muss, um den entsprechenden Gang reinzuquetschen. Aber die Klimaanlage ist gold wert! Bei 37 Grad im Schatten wissen wir diesen Vorzug bereits nach wenigen Kilometern zu schaetzen. Im Supermarkt decken wir uns mit Vorraeten fuer unsere naechsten Abenteuer ein. Heute muessen wir nicht ueberlegen, wieviel wir einkaufen duerfen, ob wir Stauraum fuer die gesamten Lebensmittel haben. Nein, in einem Bulli ist verdammt viel Platz, genauer gesagt fuer 20 Einkaufstueten der Supermarktkette Woolworth.

Oh Mann! Das Linksfahren sind wir ja schon von Neuseeland gewoehnt, aber wenigstens waren am Moped Schaltung und Blinker am gewohnten Platz zu finden. Im Toyota habe ich beim Herunterschalten die Fensterkurbel in der Hand und trotz der Duerreperiode laufen beim Abbiegen ploetzlich die Scheibenwischer. Die Blue Mountains liegen vor uns. Ein blauer Dunst erfuellt die dichtbewaldete Bergregion. Eukalyptusbaeume beherrschen mit 600 Arten die australischen Waelder. Der optisch blaue Effekt, der ueber den Haengen schwebt, wird durch die Verdunstung aethaerischer Oele aus den Blaettern der Eukalyptusbaeume hervorgerufen. Gleich nach dem Fruehstueck marschieren wir los zu den Three Sisters, eine Gesteinsformation aus drei Bergnadeln, umgeben von grandiosen Schluchten. Eine Legende erzaehlt, dass ein Zauberer die drei Schwestern in Steine verwandelt haben soll.  Ueber der 445 m Tiefe gondelt die "Scenic Railway", die angeblich steilste Bahn der Welt. Und tatsaechlich hat man das Gefuehl, der quietschgelbe Waggon faehrt nahezu senkrecht bergauf.

Fuer Australien stehen zwei Dinge auf meiner Favouritenliste, die ich unbedingt sehen will. Rote Erde und Kaenguruhs. Letztere begegnen uns bereits wenig spaeter. Mit einer Vollbremsung (naja, sagen wir mal, die Bremsen geben ihr bestes) bringt Ingo Toyo-Bulli zum Stehen. Im Schatten eines Baumes ruht das graue, ca. 1.50 Meter grosse Tier mit verschraenkten Vorderbeinen. Es sieht ziemlich relaxt aus und laesst sich von uns keineswegs stoeren. Blitzschnell ist ein Film verknipst von dem ersten Kaenguruh Life und in Farbe. Das Kaenguruh ist zusammen mit dem flugunfaehigen Emu Wappentier. Man waehlte diese beiden Tiere, weil sie als einzige Tiere in "Down Under" nur vorwaerts gehen koennen. Damit will man eine stete Fortentwicklung Australiens ausdruecken. Ein ca. 50 cm langer Lizzard, der zur Gruppe der Riesenechsen gehoert, huscht vor uns ueber die Strasse und laesst unsere Aufmerksamkeit auf ihn lenken. Die Tierwelt hier ist unglaublich vielseitig. Schwarze und weisse Kakadoos, bunte Papageien, Wellensittiche und lauthals kraechzende Kookaburras flattern  ueber unseren Koepfen hinweg durch die Luefte. Emus in allen Groessen stolzieren mit langen Schritten durch die trockene Steppe.

Im gluehend heissen Backofen des beginnenden Outbacks liegt der Warrumbungle Nationalpark. Kurz vor Sonnenuntergang spazieren wir entlang des Service Tracks. Dutzende Kaenguruhs beobachten uns regungslos wie Statuen im Gras. Kleine Babys linsen frech aus dem schuetzenden Beutel der Mutter heraus. Alte und Junge, Kleine und Grosse treffen sich in der untergehenden Abendsonne. Und ploetzlich liegt sie vor uns. Schwarz und lang, in der Staerke meines Unterarmes. Eine Black Snake! Drohend zuengelt sie in unsere Richtung. "Weg!" bruellt Ingo mich an. Seine langen Beine springen einen riesigen Satz zur Seite, ich bevorzuge die Rettung nach hinten. Wir stehen wie versteinert da und starren auf das Ungetuem von Schlange. Sie ruehrt sich keinen Zentimeter von der Stelle. Zweifellos befinden wir uns in ihrem Revier. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, meine Haende zittern. Ob sie giftig ist? Warum ist sie vor uns nicht gefluechtet? Was waere, wenn wir nicht auf den Weg geachtet haetten, sondern unser Blick bei den Kaenguruhs haengen geblieben waere? Trotz der Gefahr oder vielleicht genau deswegen haengt etwas faszinierendes in der Luft. Welch elegante Schoenheit und Anmut in diesem Reptil liegt. Die 1,20 m lange, schwarze Haut glaenzt im einsamen Rest des orangenen Abendlichtes. Unter offenem Himmel kennt die Freiheit keine Grenzen. Mit einem grossen Bogen passieren wir das bezaubernde Tier. Vorsichtshalber machen fuer den Rest des Weges unsere Schritte denen eines Elefanten Konkurrenz. Die Dame des Informations-Centers erklaert uns am naechsen Morgen augenzwinkernd, dass sie froh ist, wenn sie eine Black Snake sieht. Das bedeutet naemlich, dass es keine Brown Snakes gibt, da die Schwarzen die Eier der Braunen essen. Und mit letzteren ist wahrlich nicht zu spassen. Unsere vorabendliche Begegnung war zwar nicht ganz harmlos, aber zumindest muss ein Biss der Black Snake nicht zwingend toedlich verlaufen. Es herrschen strikte Regeln im australischen Outback. Nur mit festem Schuhwerk ins Gelaende, Abstand zu Schlangen halten! Begegnet man einer, ist Ruhe angesagt. Am besten einen Rucksack zwischen Schlange und eigene Beine stellen. Mit dem Zuengeln versucht sie, Bewegungen einzufangen. Nach 10 Sekunden bewegungslosem Ausharren verliert sie normalerweise das Interessen an einem.

Zwei Koalabaeren haengen traege und faul auf einem Baum am Einstieg eines nahegelegenen Wandertracks. Ein kurzer Blick hinab zu uns und schon schliessen sich seine Augen wieder, um den wohltuenden Mittagsschlaf fortzufuehren. Klein Koalababy wagt sich schon enorm hoch in den Gipfel des Baumes und linst keck auf uns herab. Die possierlichen Tierchen haben zweifellos dem Teddybaer Modell gestanden. Die auffallende Nase und die abstehenden haarigen Ohren geben ihm dieses putziges Aussehen, dass man dem Verlangen widerstehen muss, ihn auf den Arm zu nehmen.

Die braun-gelbe Steppe in Richtung Westen wird von Kilometer zu Kilometer oeder und trister. Die letzten Baeume lassen wir hinter uns, lediglich Buschwerk kann der gnadenlosen Hitze noch standhalten. Der Asphalt flimmert in der Hitze der Nachmittagssonne. Irgendwann hoeren auch die Buesche auf und die Steppe breitet sich ueber die grenzenlose Weite des Outbacks aus. Australien ist anders. Heiss, rot und trocken verleiht die teracotta-rote Erde dem Kontinent die gewisse Mystik, den Ausdruck magischer Lebenskraft. Geheimnisvolle rote Wege zweigen links und rechts von der Asphaltstrasse ab, fuehren ins Nichts des spiegelnden Horizonts. Ein kurzes Stueck widersetzen wir uns der Auflage, mit dem Toyota offroad zu fahren. Wir koennen nicht widerstehen und biegen ab in Richtung White Cliffs, 100 Kilometer abseits des Highways. Hier ist das Zentrum der Opalsucher. Wegen der unertraeglichen Hitze die hier im Sommer herrscht, haben sich die Opalsucher unter die Erde zurueck gezogen. "Dugouts" nennen sich die unterirdischen Wohnungen, die bis zu 10 Meter in die Tiefe reichen. PJ's Bed & Breakfast Dugout steht zur Besichtigung offen und wir lassen uns von Peter durch seine Untergrund-Wohnung fuehren. Faszinierend, mit wieviel Einfallsreichtum und Geschmack sich eine Hoehle in eine schmucke Suite verwandeln laesst. Sogar fuer Tageslicht hat Peter gesorgt. Schaechte, die durch die dicke Gesteinsschicht nach oben fuehren, lassen die Raeume angenehm hell und lebendig wirken.

 

 18. Februar 2004

Sydney, faszinierender Gestank

 

Die Nordinsel Neuseelands hat uns zurueck! Mit einem weinenden und einem lachenden Auge ueberqueren wir nach mehr als zwei Monaten erneut den Tasmanischen Ozean in Hoehe der Cook-Street. Von Wellington aus wollen wir den Flug nach Sydney/Australien antreten. Die Ueberfahrt macht deutlich, dass sich unsere Reise langsam dem Ende entgegen neigt. Die Traurigkeit schuetteln wir aber schnell von uns ab und machen der Aufregung Platz, die sich in unseren Maegen ausbreitet. Am fruehen Montag Morgen nehmen wir den ersten Flug nach Down Under. Mit frueh meine ich verflixt frueh. Der Flieger startet bereits um 6.30 Uhr, unser Wecker klingelt somit zur unhumanen Zeit von vier Uhr. Waehrend der Nacht zieht ein Sturmtief ueber Wellington. Orkanboen der Staerke 9 bringen Windgeschwindigkeiten von ueber 120 km/h mit sich. Bis zum Morgen hat sich das Wetter keineswegs beruhigt. Im vom Wind bebenden Flugzeug sitzend warten wir auf die Starterlaubnis. Der Stuart laechelt  milde, als ich mich bei ihm erkundige, ob wir bei solch einem Wind ueberhaupt starten koennen. "Definitly!"

Sein Wort in Petrus Ohr . Dank meines homoeopathischen Cocktails aus Borax , Argentum Nitricum und Rescue-Remedy-Bachblueten bin ich relativ "ruhiggestellt". Ausserdem ist Wellington bekannt fuer seine windig-wackelige Startbahn und mit diesen Wetterverhaeltnissen werden die Piloten sicherlich umzugehen wissen. Tatsaechlich erweist sich der Start als ziemlich harmlos. Gegen den Wind faellt die starke Luftstroemung kaum auf und lediglich waehrend der ersten paar Minuten werden wir ein wenig von links nach rechts geschuettelt.   

Wir erreichen Sydney bei strahlendem Sonnenschein und 28 Grad Celsius. Und das morgens um neun Uhr australischer Zeit! Die hohe Luftfeuchtigkeit drueckt uns bereits auf dem kurzen Stueck zwischen Flieger und Flughafenhalle den Schweiss aus den Poren. Daran werden wir uns nach den angenehmen neuseelaendischen Wetterverhaeltnissen erst noch gewoehnen muessen.

In 15 Minuten ist unser gebuchtes Hotel erreicht. Besser gesagt ein Backpacker, den wir ueber unseren Reisefuehrer ausfindig gemacht haben. An der Rezeption bekommen wir das Zimmer 706 zugewiesen. Hunger macht sich in unsern Maegen breit und wir freuen uns auf ein ausgiebiges australisches Fruehstueck in der Stadt. Dies laesst allerdings noch etwas auf  sich warten. Das Zimmer ist eine Katastrophe. Ein dunkles,heisses, muffiges Loch!. Und wo bitte ist das Badezimmer, das ich mit gebucht habe? Zwei Stufen auf einmal nehmend sprinte ich die sieben Stockwerke hinunter zur Rezeption. "Das Badezimmer befindet sich ueber den Flur hinweg gegenueber vom Zimmer". Das junge, blonde Maedel ist die Ruhe in Person. Ok, sage ich mir, ist ja auch ein Backpacker und selber schuld, wenn man telefonisch bucht. Ich akzeptiere das ausgelagerte Badezimmer und suche mir den Weg durch die Massen wartender Backpacker in der Vorhalle. Im Zimmer angekommen habe ich mich bereits mit dem Gedanken angefreundet, hier die naechsten drei Naechte zu verbringen. Ein genaueres Umsehen in den sechs Quadratmetern zeigt allerdings, dass weder die Betten frisch bezogen sind, noch der Muelleimer ausgeleert ist. Der Hunger siegt ueber unsere Missstimmung. Die Taschen bleiben im Zimmer und ein weiterer Gang zur Rezeption steht an. "Die Zimmer werden erst in den naechsten paar Stunden gereinigt". Ich glaube, Blondie versteht meine Veraergerung gar nicht. Egal! Drei Naechte werden wir hier ohne bleibende Schaeden ueberstehen. Das naechste Café gehoert uns und wir fuellen unsere Maegen mit Wraps und Cooked Breakfast ab.  

Sydney ist eine Grossstadt mit vier Millionen Einwohnern. Die Hauptstadt von New South Wales ist die groesste des Kontinents. Das Leben pulsiert in einer immensen Lautstaerke und Geschwindigkeit. Rings um uns wird gehaemmert und geschweisst, gesaegt und geschraubt. Die Millionenstadt scheint weiter wachsen zu wollen. Und es stinkt! Man hat das Gefuehl, dass einem die Luft zum Atmen genommen wird. Die Autoschlangen druecken sich erbarmungslos durch die Haupt- und Nebenstrassen. Der Verkehr in der Innenstadt kommt waehrend der morgendlichen Rushhour nahezu zum Stillstand. Hektik liegt ueber der Stadt. Menschenmassen ueberqueren Fussgaengerampeln, Aktenkoffer und Kaffeebecher in der Hand. Ein interessantes, internationales Ambiente schmueckt das Strassenbild. Menschen saemtlicher Nationen scheinen hier zu leben.  Es gibt auch sonst viel zu sehen. Riesige alte Gebaeude begleiten uns durch die Stadt. Hohe, marmorverzierte Decken schmuecken das Innere der Commonwealth Bank und der Victoria Shopping Mall. Die langen Fussmaersche fuehren uns unter anderem zur Harbour Bridge. An der Skyline Sydneys koennen wir uns gar nicht sattsehen. Eine Hafenrundfahrt zeigt uns die verschiedenen Perspektiven auf. Jede Ansicht hat ihren eigenen Reiz.

In dem weltberuehmten Opera House verliebe ich mich in die Ausstellungsstuecke des Malers "Shag" der mit buergerlichem Namen Josh Agle heisst. Die Zusammensetzung der letzten beiden Buchstaben seines Vornamens und der ersten beiden Buchstaben seines Nachnamens erklaert den Kuenstlernamen des Amerikaners. Von den farbenfrohen Bildern, die Aehnlichkeit mit Comics haben, kann ich mich gar nicht trennen. Die hohen Preise fuer die Kunstwerke lassen mich allerdings aufwachen und wir widmen uns dem Hyde Park, Chinatown und was es sonst noch alles zu sehen gibt. Den schillernden Vergnuegungsbezirk Kings Cross empfinde ich persoenlich etwas abstossend. Liegt wahrscheinlich an den schweren Jungs und den leichtbekleideten Maedels, die vor den zwielichtigen Schuppen herumhaengen. Ich kann eben doch nicht leugnen, dass ich im katholischen, mittelfraenkischen Adelsdorf aufgewachsen bin.........

 

12. Februar 2004

Gruene Lippenmuscheln

Wir bekommen Besuch von Kathy und Murray. Ein langes Wochenende verbringen die beiden mit uns auf der Suedinsel, ermoeglicht durch einen neuseelaendischen Nationalfeiertag. Einer der Tagesausfluege fuehrt uns in den Abel Tasman Nationalpark. Eine rostige Kette quer ueber die Strasse gespannt versperrt uns urploetzlich die Weiterfahrt. Strenger Geruch liegt in der Luft. Mitten ueber die Strasse verlaeuft ein schmutzbrauner Teppich, ueber den dutzend schwarz-weisse Frieslandkuehe mit prallgefuellten Eutern flanieren. Angetrieben von einem kniehohen, quirligen Hund und einem Farmer dessen Gesicht Aehnlichkeit mit einem Winterapfel hat, finden die Damen ihren Weg zur gewichtsreduzierenden Melkprozedur. Locker mit einem Bein auf dem Sitz knieend wendet das Apfelgesicht sein Gelaendequad geschickt von links nach rechts, hinter der letzten Kuh anschliessend. Aufregung unter den Maedels. Kuh Helene sucht sich ihren Weg durch die abgrenzende Kettensperre hindurch. Mit aller Kraft stemmt sie sich dagegen, bis der duenne Draht nachgibt, der am Strassenrand die Kette mit dem Weidezaun verbindet. Die Rechnung hat sie allerdings ohne die perfekt abgerichteten Farmhunde gemacht. Ein kurzer schriller Pfiff des Farmers und Bello Nummer 2 springt in hohem Bogen von dem Quad und stuermt in windeseile hinter Helene her. Diese laesst sich nicht zwei mal bitten. In sekundenschnelle ist sie ueberredet und reiht sich wieder artig hinter ihre Schwestern ein. Nachdem auch die letzte Kuh die Strasse ueberquert hat, wird der Teppich nicht etwa von Hand zusammen gerollt. Durch einen Haken am Quad befestigt wird die verdreckten Ueberbrueckung ohne grosse Schwierigkeiten zum heimischen Stall gezogen.

Magenknurren macht sich breit. In einem einladenden Cafe am Strassenrand bestellen wir Seafood Chowder, eine breiige Meeresfruechtepampe. Ausserdem vegetarisches Parcel, gefuellt mit Spinat und Pilzen. Dazu Gemueserelish und Salat, der von Sojasprossen und kleinen gelben Blueten geschmueckt ist. Von den obendrein georderten Gruenlippmuscheln ist Murray ein eingefleischter Anhaenger. Ich erklaere ihm, dass man in Deutschland Kapseln aus dem Wirkstoff der Gruenlippmuschel kaufen kann. Damit beugt man Gelenkserkrankungen vor. Seine Mundwinkel umspielen ein schelmisches Schmunzeln. "Oh ja, auch fuer die Muskeln sind sie sehr gut. Fuer einen bestimmten ganz besonders."

Einige Kilometer Schotterpisten liegen noch vor uns und so starten wir frisch gestaerkt die Weiterfahrt. Rings um mich herum hoere ich Geraeusche, die bei mir Zahnschmerzen hervorrufen. Ein Rasseln wie in der Geisterbahn, als ob 1000 duenne Ketten aneinander klirren. Schuld daran sind Zirkaden auf der Suche nach ihrem Partner im Abel Tasman Nationalpark. Hell und dunkel wechseln sich die Gruentoene ab. Das satte Buschland saeumt die Sand-Schotterpisten, die uns wie bei einer Achterbahnfahrt Stueck fuer Stueck der Kueste entgegen kurbelt. Bei den Wasserdurchfahrten spritzen die trueben Tuempel bis ueber Murrays Helm. In ihm steckt noch immer ein kleiner Junge, fuer den die Mutter Natur einen riesigen Abendteuerspielplatz geschaffen hat. Hinter die letzte Kurve muss gespaeht werden, der letzte Huegel muss erklommen werden. Ingo und Murray aehneln sich auf diesem Gebiet unwahrscheinlich.

 

Hurrah, eine kalte Dusche

Das Wochenende verfliegt im Nu und Ingo und ich reisen alleine weiter. Der Abel Tasman Nationalpark hat es uns angetan. Bis unter das Windschild mit Vorraeten eingedeckt befahren wir den Totaranui-Basis-Platz. Fuer drei Tage geben wir uns der Einsamkeit des Parkes und der Schoenheit der Golden Bay hin. Hocherfreut entdecke ich in dem hoelzernen Verschlag des Toilettenhaeuschens eine Dusche. Voellig egal, dass diese eisig kalt ist. Die morgendliche Dusche lasse ich nur ungerne entfallen. Schon seit langem versucht Ingo mich davon zu ueberzeugen, dass  3-5 Tage ohne duschen allenfalls machbar ist. "Was wuerdest Du denn in der Wueste machen?" Aber ich bin ein Gegenwartsmensch und die Wueste ist von Neuseeland so weit entfernt wie ein Eisbaer vom Aequator. Durch den noerdlichsten Zipfel der Suedinsel fuehrt der Abel Tasman Coastal Track, ein Kuestenpfad entlang einer traumhaften Kulisse tuerkisfarbenen Wassers und dem orangfarbenen Sandstrand der Golden Bay, umgeben von sattem Buschland. Gleich nach dem Fruehstueck starten wir die hoffnungsvolle Wanderung. Durch das Nirgendwo eines namenlosen Urwaldgruenes werden wir von Siegrid, einer 67-jaehrigen Hamburgerin begleitet. Ein echtes schleswig-holsteiner Maedel, das fuer ein halbes Jahr alleine mit einem hellblauen ersteigerten Kombi der Marke "uralt" durch Neuseeland tourt. Es baut uns richtiggehend auf, zu sehen, dass Reisen und Alter keineswegs Einschraenkungen beinhaltet. Die selbstgenaehten Vorhaenge vor den Fenstern im Hinteren des Wagens zieht sie bei Dunkelheit zu, um auf der Ladeflaeche zu schlafen. Auf der Rueckbank befindet sich das Esszimmer und der Aufenthaltsraum, und wie sie uns grinsend verraet ist die Vorratskammer unter den Sitzen zu finden. Immer wieder werden wir von dem Track an den orangfarbenen Strand geleitet. Unglaublich, wie viele Wanderer uns mit vollem Gepaeck begegnen, riesige Rucksaecke auf den Ruecken mit Zelt und Essensverpflegung fuer mehrere Tage. In einigen Buchten ist das Uebernachten in begrenzter Zahl moeglich. Eine einfache Toilette, ein Wasserhahn, mehr bedarf es nicht. Und das Meer rauscht vor der Zelttuer.  Nach vier Stunden erreichen wir den Seperationpoint. Mit einer wunderschoenen Aussicht werden wir fuer die huegelige Strapaze belohnt. Ingo und ich schieben uns gegenseitig die Schuld in die Schuhe, die Kekspackung vergessen zu haben. Mit mauligen Maegen treten wir nach einer kurzen Verschnaufspause die Ruecktour an.  Waehrend des gesamten Weges Richtung heimatliches Zelt tauschen wir Kochideen aus, ueberlegen unser heutiges Abendessen und sehnen eine kuehle Dusche herbei. Zusammen mit einer Lagerfeuer-Einladung unserer Zeltnachbarn beenden eine Riesenportion Nudeln mit Tomatensosse diesen erlebnisreichen Tag.

Ein tierischer Sturm zieht waehrend der kommenden Nacht ueber unser Camp und haelt bis zum naechsten Morgen an. Das Fruehstueck findet mit Windjacke und uebergestuelpter Kaputze statt. Das Milchpulver im Teller habe ich gerade mit etwas Wasser zu einer saemigen Masse verarbeitet, als ein gewaltiger Windstoss den gedeckten Tisch durcheinander fegt. Der Teller samt Inhalt kippt um und verwandelt den Holztisch in eine weisse Milchlandschaft.

 

Pulloverschwein

Mit einem Ruck an der herunter baumelnden Leine wird mit lautem Geknatter die Schermaschine gestartet. Peter, der Farmer, haelt zwischen seinen beiden Knien das linke Vorderbein eines zappelnden, dauergewellten Schafes nach hinten. Ein Entkommen ist nahezu unmoeglich. An der Hinterkeule beginnt er die wollverringernde Prozedur. Vorsichtig, fast zaertlich fuehrt er den eisernen Rasierer Zentimeter fuer Zentimeter ueber die Haut. Schafstress in Hoehe Peters Knie. Der Kopf ist dran. Wie beim Skalpieren setzt Peter unmittelbar ueber den Augen des Schafes an, um in Richtung Ohren und Nacken zu barbieren. Zwischendurch stoppt er immer wieder die Prozedur, um Erklaerungen abzugeben und Fragen zu beantworten. Die Position des Schafes zwischen seinen Beinen beschreibt er als maximale Bequemlichkeit fuer das Tier. Empoertes Bloeken hallt durch die muffigen Stallraeume. Nahezu nackt hat die Geduld des Schafes seine Grenzen erreicht. Peter zeigt sich erbarmungsvoll. Er lockert den festen Griff und reicht uns seine Hand mit der Aufforderung, die oelige Schicht darauf zu fuehlen. Die Haut des Schafes sondert eine fettige Substanz ab, aus der wertvolle Hautcreme gewonnen wird. Die geschorene Wolle wird nun in einer riesigen Presse zu einem kompakten Klumpen gepresst und fuer fuenf Doller pro Kilo an Haendler verkauft.

 

  3. Februar 2004

Die Natur ist der beste Maler

Der Wetterbericht an der Westkueste haelt was er verspricht. Dicke Tropfen platschen auf unsere Visire waehrend die Temperaturen Kilometer fuer Kilometer in den Keller rutschen. Die kleinen, verschnoerkelten Orte rund um den Franz Josef Gletscher und Fox Gletscher lassen nur fuer kurze Zeit alpine Stimmung aufkommen. Mit steilen Giebeldaechern und Holzverkleidungen haben die Stadtplaner alles getan, den neuseelaendischen Alpen Schweizer Charakter zu verleihen. Wirklich gelungen ist es ihnen allerdings nicht. Grund dafuer liefern die Regenwaelder, die schillernd und frisch, leuchtend und satt die Ortschaften umwuchern. So auffaellig wie Tintenkleckse auf einem Stueck weissen Papier.  Erst spaet in den Abendstunden zieht sich der Regen wohlgefaellig zurueck und die tiefstehende Abendsonne spendiert orangfarbenes Licht. Dicke Wolken haengen  in schoenem samtigen Grau tief in die gewaltige Bergmasse dunklen Steins hinein. In eleganter Schoenheit breitet sich selbstherrlich ein Regenbogen aus. Die zerklueftete Bergkette ausfuellend, verschwinden die orangenen Sonnenstrahlen in der Farbenvielfalt des Regenbogens.  Die Luft prickelt wie Champagner und der Himmel ist mittlerweile so dunkel, als koennte man darin versinken. Wie zwei formlose Gestalten bewundern wir dieses Szenario, waehrend die Dunkelheit die Landschaft ueberzieht und der Nachte entgegen steigt.  Vielleicht regnet es ja morgen von der Erde zum Himmel... Mit diesen Gedanken kehren wir in die Geborgenheit unseres Motelzimmers zurueck, dessen Luxus wir uns erstmalig auf unserer Reise goennen. Wir kosten all die Vorzuege  aus, die uns bislang verwehrt blieben: Fernsehen bis spaet in die Nacht, die Fuesse nach dem Essen auf den Tisch legen, Kaffee trinken im Bett oder unbekleidet zur Toilette gehen. Leider geht auch diese Nacht zu Ende.  

 

Stimmungen der Wolfsfrau

Kilometer fuer Kilometer rollen die groben Contis ueber den Strassenasphalt des Inselinneren. Koerperlich untaetig ermoeglicht diese ungenutzte Zeiten tiefe Denkprozesse, ein Eintauchen in die Gehirnwelt. Nicht enden wollend waelze ich Gedanken  von einer Seite auf die andere, hole alte, fast vergessene Jugendsuenden an die Oberflaeche meines Verstandes, diskutiere Probleme aus dem Arbeitsleben und halte meinem Vater unermuedlich Vortraege ueber die Gesundheitsschaedigung des Rauchens. Nicht nur einmal kullern Traenen unter meinem Helm ueber meine Wangen. Es ist nicht einfach, gegen etwas geschmettert zu werden, das nicht da ist. Wie eine leere Muschel, angeschwemmt an einem einsamen Strand.  Aber endlich ist die Zeit gekommen, den Muelleimer auszuleeren.  Der Alltag verleitet viel zu oft dazu, den verstaubten Deckel des Verdraengens wie einen Schleier ueber den Problemen auszubreiten. In der Einsamkeit der Bergwelt, gefangen genommen unter dem Motorradhelm, draengen sich Gedanken formlich in mein Hirn hinein, wollen durchdacht und geklaert werden. Eine Reise raeumt auf, entstaubt, lueftet und befreit letztendlich. “Life is travelling, travelling is living twice”. Das zweite Leben ist mir auf der Reise noch nicht begegnet. Aber das erste intensiviert sich. Von Tag zu Tag. Oftmals findet man mehr, als man zu finden glaubt. Alle Reise haben eine heimliche Bestimmung, die der Reisende nicht ahnt.  Die Welt faengt im Menschen an, in den eigenen Gedanken.  ”Small door shutting, big door opening”. Diese Worte hat Steve aus London bei unserm letzten Treffen in die Runde geworfen. Und da waeren wir schon bei dem naechsten  Thema.  Ich bestehe auf einen Stopp in Wanaka. Ohne erklaerbaren Grund ignoriere ich Ingos Vorschlag, noch tiefer in die Berge hinein zufahren. Die Belohnung fuer meine Willensstaerke bekommen wir am Abend geliefert, als uns Steve und Annett mit ihrem Bulli beinahe ueber unsere Fuesse fahren. Was ist das fuer eine Wiedersehensfreude, die wir mit einem ausgiebigen Kneipenbummel feiern. Durch Zufall fand ich vor einigen Tagen in einer Campingkueche das Buch “Die Wolfsfrau”. Eine Legende ueber die Kraft der weiblichen  Urinstinkte. Na, wenn das keine Bestaetigung fuer deren Existenz ist....

 

Das Wandern ist des Christals Lust

Hungrig presst Ingo den weiss lackierten Hebel des Toasters in Richtung Tischplatte.  ”Hast Du auch Toast hinein gesteckt?” Christals Frage haengt in der Luft wie der Duft des roestenden Weissbrotes. Zu erstaunt, um Antwort zu geben, wirft Ingo ihr einen erstaunten Blick zu. Der Ausdruck in ihrem Gesicht verfluechtigt sich etwas, verschwindet aber nicht ganz. ”Oh sorry!” Ihre Haende fuchteln wild vor ihrem Gesicht herum, als wolle sie eine Fliege verscheuchen.  Die Roete die ihre Wangen ueberzieht, hat die gleiche Farbe wie der Rhabarberkompott auf dem liebevoll gedeckten Fruehstueckstisch. “Ich behandele Euch schon wie meine Kinder. Aber Nick hat die Angewohnheit, den Toast beim Toasten zu vergessen….”  Christal ist Single-Mum von Nick (5) und Tanya (9) und wir verbringt ein herrliches Wochenende in ihrem Haus in Dunedin. Zwei Tage duerfen wir in ihrem Doppelbett schlafen, bummeln durch die Cafes Dunedins und geniessen teuflisch scharfen Fisch im Indian Summer Restaurant. Schmerzhafter Muskelkater durchzieht Christals Waden , als sie sich zum Abschied auf die Zehenspitzen stellt, um Ingo in die Arme zu schliessen. Fast lautlos zischt sie ein englisches Schimpfwort durch die Zaehne. Der gestrige Tag kam einer Marathonwanderung gleich. Liefen wir doch gleich drei Mal die Strecke von ihrem Haus in die Innenstadt. Auch fuer unsere Waden nichts alltaegliches, da die Strecken etliche Hoehenmeter zu ueberwinden hatten. Voellig geschafft aber stolz triumphierend schlief sie auf dem Fussboden des Wohnzimmers ein, noch bevor wir ihr eine gute Nacht wuenschen konnten.    

 

25. Januar 2004

Horizons Unlimited Treffen in Amberley

Zwei riesige dunkelrote Rindfleischmassen drehen im monotonem Tempo ihre Runden ueber dem Grill. Zusammen mit den drei aufgespiessten noch etwas blassen Haehnchen versprechen sie ein schmackhaftes Abendessen. Der aufsteigende Geruch von roestendem Fleisch ist kraeftig, fast kann man sich dagegen lehnen Neigel, der Veranstalter des alljaehrlich stattfindenden Horizons Unlimited Treffens in Amberley, reicht uns zur Begruessung seine sonnengegaerbte Hand. Stolz fuehrt er uns in seine Garage, in der er eine wahre Sammlung alter und neuerer Motorraeder hortet. Trialbikes, Racebikes und Enduros. Zusammen mit seiner Frau Kitty gehoert er einer der neuseelaendischen Horizons Unlimited Communities an, die weltweit Motorradreisende zusammenhaelt und bei Fragen oder Problemen hilfreich zur Seite steht.

Goldgelbe Maiskolben, Kaese-Kartoffelgratin, verschiedene Sossen und Salate verzieren den Tisch im Freien neben dem kleinen Haus. Erwartungsvoll ankommende Reisende stellen ihre Motorraeder im Hof ab. BMW, KTM, Honda Transalp, alle Outdoormarken sind vertreten. Von den Reisen verdreckt lassen sie alleine durchs Betrachten die dazugehoerigen Erlebnisse erahnen.

Willkommen ist jeder, der Motorradreisender ist. Bezahlen duerfen wir nichts. Vielmehr bittet Neigel um Geschichten. Reiseerlebnisse in Form eines Unkostenbeitrages. Besonders schoene oder besonders schlimme Ereignisse von unterwegs. 25 Reisende finden sich heute hier ein und jeder hat seine eigene kleine Story dabei. Da sind John und Annett aus England, seit zwei Jahren "on the road". Annett erzaehlt von einem Unfall in den Bergen Suedamerikas. Sie faehrt direkt einem grossen Stein in die Arme und entsprechend ramponiert sehen sie und ihr Motorrad aus. John eilt in die naechste Siedlung, um Hilfe zu holen, waehrend sich Annett auf einen Felsen setzt und hemmungslos weint. Aus dem Nichts taucht ein alter Mann auf, der sich wortlos neben sie setzt und ihr den Arm um die Schulter legt. Er spricht weder spanisch noch englisch. Aber auch ohne Worte ist seine Gegenwart wohltuend. Bis zu Johns Rueckkehr verharrt er geduldig neben ihr. Mario aus Sachsen auf einer KTM startet seine Reise in Finnland. Zusammen mit seiner Freundin passiert er Russland und Japan um dann die Motorraeder nach Australien und Neuseeland zu verschiffen. Auf die Frage, wann es wieder Richtung Heimat geht antwortet er: "Ick hab keen zu Hause mehr!" Das Glaenzen in seinen Augen verraet die Sehnsucht nach weiteren Abenteuern. Hanka und Erik aus Hamburg fahren seit 11 Monate durch die Welt. Ihr Herz haben  die beiden an Suedamerika verloren. Vor ihrer Heimreise steht mindestens noch Australien auf dem Plan.  Tim aus Heidelberg,Chris aus Belgien, Jeremy aus Neuseeland. Jeder hat seine eigene kleine Geschichte. Der Abend wird lang. Dank Neigels selbstgebrauten schwarzen Bieres bleiben die Kehlen geoelt. Wie Cola fliesst der nicht endende Strom der hopfenreichen Fluessigkeit aus dem Glaskrug. Allmaehlich klingen Worte verschwommen, Saetze werden unverstaendlicher. Ein Tag gefuellt mit Weisheiten und Philosophien geht mit einem orange-roten Sonnenuntergang zu Ende.

 

Tanken will gelernt sein

Die Blowholes und Pancake Rocks verschwinden in den Rueckspiegeln der BMW’s. Leider war weder die Flut noch die Stroemung stark genug, die immensen Fontaenen in den riesigen Meereshoehlen, den sogenannten Blowholes, zu produzieren. Laut Reisefuehrer soll dies ein beeindruckendes Schauspiel sein, sofern alle Elemente uebereinstimmen. Zumindest die Pancakes sind wetterunabhaengig und wir konnten die verschiedenen Schichten Kalkstein bewundern, die in der Mittagssonne wie uebereinander gestapelte Pfannkuchen aussehen. Durch einen chemischen Prozess entstanden im Laufe der Zeit abwechselnd feste und weiche Gesteinsschichten, die als ueberdemensional grosse Teigwaren bei uns ein Magenknurren bewirkten. Das naechste Ziel muss erstmal die Form einer Benzinzapfsaeule haben, bevor wir die beruehmten Gletscher an der Westkueste ansteuern. Etliche Punkte schwirren mir im Kopf herum: Tanken, Visir saeubern, Spiegel putzen, E-Mail von Susi und Piet beantworten, Hannelore und Oma zum Geburtstag gratulieren…. Nur nichts vergessen bis zum naechsten Stopp. Eilig bekommt das Notizbuch die Verantwortung uebertragen. Ein kleiner Smalltalk mit dem Tankwart, und weiter geht’s. Der Benzingeruch haengt noch in der Luft. Wird gleich verschwinden, verdraengt durch die reine Bergluft der Westkueste. Komisch, riecht aber noch ganz schoen dolle… Habe ich so viel daneben geschuettet? Naja, quatschen und tanken vertragen sich halt nicht. Oder ist etwas mit dem Motor nicht in Ordnung? Oder…. Neeeeeiiiiin! Ich werde doch nicht…. Mit quietschenden Bremsen bringe ich meine rote BMW auf dem grasbewachsenen Seitenstreifen zum Stehen. Hektisch oeffne ich den Reissverschluss des Tankrucksacks. Mist, klemmt schon wieder! Ein Ruck vor und zurueck. Na also, geht doch! Oh nein, tatsaechlich! Die Tankoeffnung glotzt mich geradezu an, umgeben mit Pfuetzen von herausgeschwapptem Benzin, das diesen unangenehmen Geruch verursacht hat. Den Tankdeckel habe ich wohl auf der Zapfsaeule liegen gelassen. Taktvoll gewaehrt mir Ingo den Moment, mein Gesicht der Farbe eine Tomate anzupassen. Ein geschicktes Wendemanoever auf der Strasse und zwei Minuten spaeter ueberreicht er mir amuesiert die wertwolle Dichtung. Ich unterdruecke einige mehr oder weniger unkluger Bemerkungen. Hatten wir doch vor wenigen Tagen eine kurze aber heftige Diskussion bei einem Tankstopp. Seine Empfehlung, den Tankdeckel stets auf die Motorradamaturen statt auf die Zapfsaeulen zu legen wische ich mit den Worten beiseite: “Du unverbesserlicher Perfektionist!” Mit unechter Gelassenheit gestehe ich mir ein solches Missgeschick nach 9000 neuseelaendischen Kilometern wohlwollend zu.

 

Wuermer mit Knopfaugen

“Free Billy Tea” Der Smilie unter dem handgeschriebenen Schild in schwarzen Buchstaben bekraeftigt die Einladung und wir folgen dem Pfeil in Richtung Barbecue-Area. Ein Taesschen Tee kommt uns wie gerufen bei unserem Zwischenstopp auf dem Weg zum Franz-Josef-Gletscher. Zehn Minuten Fussmarsch durch das dichte Waldstueck und wir laufen geradezu in den gluehend heissen Grill hinein. Leckere Hackfleischbaellchen versprechen eine schmackhafe Beilage zum Gratistee. Ein dickbaeuchiger Typ wendet mit geschickten Handgriffen die Burgereinlagen. “Come on guys, have a cup of tea!” Aus einem Billy Kessel serviert halte ich die heisse, braune Fluessigkeit zwischen meinen Handflaechen. Als aktiver Nicht-Teetrinker folgt Ingo der Aufforderung seines knurrenden Magens. Schnell ist die Bestellung an den Grillmeister aufgegeben: Einmal Deer-Burger (Wild) und einmal Fish-Burger. White Bait gilt hier an der Westkueste als Delikatesse und Fisch esse ich fuer mein Leben gerne. “Mit Tomatensosse oder Mayonaise?” Hmmmm, mir laeuft bereits das Wasser im Mund zusammen. Der Fisch ist in einen Fladen aus Eimasse eingebacken. Mit hungriger Vorfreude reisse ich meinen Mund sperrangelweit auf um in den duftenden Burger zu beissen. Aber was ist das? Ich fuehle mich beobachtet. Neugierige Blicke haften auf mir. Direkt aus dem Burger starren mich unzaehlige schwarze Knopfaugen an, die an weissen, langen Wuemern haengen. Igitt, ich mag keine Meeresfruechte! Mit genau diesen Worten strecke ich dem Dickbauch meinen Burger entgegen, in der Erwartung, das Missgeschick aufzuklaeren. Ein heiteres Lachen schallt mir entgegen. Ich bekomme dargelegt, dass White Baits keineswegs Meeresfruechte, sondern kleine Koederfische sind. Zur Verdeutlichung holt er die weisse Plastikschuessel mit der Eimasse und den eingeruehrten Fischen aus dem Kuehlschrank um mir diese im Rohzustand zu zeigen. Das haette er besser nicht tun sollen! Ein kurzes aber intensives Wuergen macht sich in meiner Halsgegend bemerkbar, als ich in die weisse, glotzende Wurmmasse blicke. Wortlos reiche ich Ingo den Burger mit der Westkuesten-Delikatesse. Ich bevorzuge Kekse zum Mittagessen.

 

20. Januar 2004

70 km Schotter, 25 Wasserdurchfahrten, 4 vollgelaufene Stiefel

Ich laufe wie auf Wackelpudding. In meinen Motorradstiefeln quatscht und matscht es. Kein Wunder! Die letzten Flussdurchfahrten waren nicht die besten. Aber von Anfang an: In den fruehen Morgenstunden verlassen wir Te Anau, um querfeldein in die touristische, verrueckte Stadt Queenstown zu gelangen. Eine trockene, grau-braune Landschaft begleitet uns waehrend der zu meisternden 240 Kilometer. Mit einem kleinen Umweg, ein etwa 70 Kilometer langer Track durch die Berge, gestalten wir unsere Tagestour etwas abwechslungsreicher. Wer anderes als Murray konnte uns diese Passage  als „Top of the world“ empfohlen haben „you must go!“. Ich habe seine Worte noch im Ohr: „The first part has many creeks.....but no problem....!“ Die Worte “no problem” habe ich aus seinem Mund schon oefters gehoert. Murray scheint ein anderes Problemempfinden zu haben als ich. Motorraeder ueber Treibholz zu manoevrieren, tiefe Sanddurchfahrten und Schotterpisten mit 170 kmh zu durchheizen empfinde ich persoenlich sogar als sehr grosses Problem...

 Die anfaenglichen Kilometer erweisen sich tatsaechlich als problemlos,lediglich ein paar seichte Wasserdurchfahrten mit relativ festem Untergrund liegen vor uns. Doch je weiter wir in die Berglandschaft eintauchen, desto reissender wird der Fluss neben uns und desto agressiver werden dessen Auslaeufer in das Bergtal. Dicke egoistische Steine versperren uns den Weg durch das knietiefe Wasser. Umdrehen? Aufgeben? Wo mag „the first part“ enden, von dem Murray gesprochen hat?  Ich definiere fuer mein persoenliches Wohlbefinden eine imaginaere Trennung der Berglandschaft in zwei Haelften. „The first part“ endet somit in gut 10 Kilometern. Also durchhalten und weiter! Ich lasse meine BMW selbstbewusst aufheulen und starte den naechsten nassen Abschnitt. Die lockeren Steine auf dem nassen Grund scheinen sich einen Spass daraus zu machen und rollen unter den grobstolligen Contis von links nach rechts. Ich koennte es schwoeren, gerade ist ein steinernes Ungetuem in der Groesse einer Wassermelone direkt vor mein Vorderrad gesprungen. Oooooaaaaah, nicht nach links abdriften, du bloeder Lenker! Bleibe gefaelligst gerade! Aaaaaaaah, wo ist meine Spur??? Mitten im tiefsten Stueck des Creeks ruckt es einmal kraeftig und der Motor der BMW verstummt. Mit kraftvollem Stampfen landen meine beiden Fuesse bis zu den Knien in der klaren, reissenden Stroemung. Eiskaltes Flusswasser laeuft entlang meiner Waden geradewegs in die Stiefel, um meine Socken in einen Waschlappen zu verwandeln. In diesem Moment wuensche ich mir, wenigstens ein paar Zentimeter groesser zu sein. Mein linke Fussspitze erreicht einen dieser widerlichen rollenden Steine, alle anderen scheinen sich vor mir zu verstecken. Die Folge meiner verringerten Koerpergroesse zeigt sich in einem fast unmerklichen, aber stetigen Kippen der BMW zur linken Seite. Millimeter fuer Millimeter senken sich die roten 220 Kilo in Richtung Wasser. „Iiiiiiingooooo!“ Die Kamera vor der Nase und mit breitem Grinsen haelt Ingo mein nasses Missgeschick fuer die Nachwelt fest. Durch das gesamte Tal schallend, schwoere ich Ingo, ihn in Stuecke zu reissen, sollte ich jemals aus dieser Situation wieder herauskommen. Ich koche vor Wut. Mit einem tiefen Atemzug sammel ich alle Kraefte, die ich mir in den letzten 5 Jahren Bodybuilding, Ju-Jutsu und Schwimmtraining angeeignen konnte. Die vereinten Muskeln rammen meinen linken Fuss in den steinigen Untergrund, um die BMW in die Senkrechte zu druecken. Wahnsinn, ich wusste gar nicht, dass ich soooo vortreffliche Reserven habe. Die Maschine schleudert ueber die senkrechte Position hinweg, um sich erneut in die Schraege diesmal auf die gegenueberliegende Seite zu begeben. Die Erdanziehungskraft tut ihr uebriges. Neiiiiiiiiiiiiiin!!!

Mittlerweile hat Ingo die Kamera zur Seite gelegt. Mit schnellen, langen Schritten platscht er durch das Wasser, holt sich die gleichen nassen Fuesse wie ich.  Der rettende Griff erreicht meine Alukiste im letzten Augenblick... Insgesamt 25 Flussdurchfahrten passieren wir auf diesen 70 Kilometern Schotter und ich wachse mindestens zehn Zentimeter in den Himmel, lediglich zwei davon nicht alleine gemeistert zu haben.  In Queenstown angekommen entschliessen wir uns fuer eine kleine Auszeit unserer Reise. Im Reisebuero der Touristeninformation buchen wir drei Wochen Australien im klimatisieren Campervan. Mitte Februar geht der Luxus los. Die Motorraeder und das Zelt werden waehrend dieser Zeit in Wellington auf uns warten. Mit kindlicher Vorfreude fahren wir Schlangenlinien zur Bungee-Jumping-Basis, wo wir uns die „crazy guys“ ansehen, die freiwillig von der 43 Meter hohen Kawarau Suspension Bridge in die Schlucht springen. Todesmutig stellen sie sich der sensationssuechtigen Menge zur Schau, klopfen sich schauspielerisch auf die Brust, um anschliessend kopfueber in die Tiefe zu stuerzen, wo sie dann am Ende eines dicken Gummiseils herumzuzappeln.   

                   

Mt. Cook

Schneebedeckt dominiert der 3764 Meter hohe Mount Cook ueber das gesamte Tal. Obwohl noch einige Zweitausender um ihn herum liegen, bleibt der Blick auf dem weissen Ungetuem haften. Tuerkis und glasklar leuchtet der davor liegende Lake Pukaki mit dem Himmel um die Wette. Den Grund fuer diese Farbenfreude liefern die durch die Sonne reflektierten Mineralien, die mit dem Schmelzwasser aus den Bergen in den See geschwemmt werden. Der Hooker Track beginnt am Fusse des Mount Cook an einem DOC-Campingplatz. Zwei Haengebruecken ermoeglichen die Ueberquerung des reissenden Hooker-Rivers, dessen Wasser nicht gerade einladend aussieht. Kaum zu glauben, dass diese grau-braune Fluessigkeit, die Aehnlichkeit mit altem Milchkaffee hat, in den farbenfrohen Lake Pukaki fliesst. Nach 1.45 Stunden erreichen wir den Hooker-Lake, den etliche weissen Eisschollen tupfen. Dem Geraeusch nach zu urteilen ist ein permanenter Schmelzvorgang aktiv. Stetiges Krachen und Platschen durchdringt die

Stille am Ende des Tracks. Die Sonne versinkt langsam im Schatten der hohen Berge und wir begeben uns auf den Rueckweg, um vor der Dunkelheit unser Zelt zu erreichen.  

 

12.1.2004

Te Anau

Blair ohne Tony

Te Anau bildet einen perfekten Ausgangspunkt zu den Milford Sounds. Morgens Um 8.30 Uhr werden wir von einem silberfarbenen 12-Sitzer-Bus abgeholt. Der quirlige Fahrer stuermt mit entgegengestreckter Hand auf uns zu."Hi, ich bin Blair. Wie Tony Blair!" Es soll ein unterhaltsamer Tag werden. Auf der zweieinhalb stuendigen Fahrt zu den Milford Sounds scheint Blair durch seinen Hintern luftzuholen. Ohne Pausen klaert er uns ueber die neuseelaendische Natur auf, beantwortet Fragen zu Pflanzen und Landschaft.

"Dies hier ist ein Rata." Er deutet auf den hohen Busch am Rande der Strasse. Er besitzt die gleiche rote Bluetenpracht wie der New Zealands Christmas Tree. So ist es nicht verwunderlich, dass er der selben Familie angehoert, nur als Suedlicher Weihnachtsbaum (Southern ChristmasTree) bezeichnet wird.  

Entlang der 120 km langen Strasse nach Milford Sounds liegt stellenweise dichter dschungelartiger Regenwald. Dicke Farnpflanzen und Lianen bevorzugen die idealen Bedingungen und geben ein zufriedenes leuchtendes Gruen an die Landschaft ab. Der durchschnittliche Niederschlag liegt im Fiordland bei 8 Metern pro Jahr. Damit ist es das feuchteste Gebiet der Erde.  An den zernarbten, steilen Bergwaenden fliessen dutzende kleine Wasserfaelle wie Traenen hinunter.  Starke Regenfaelle verwandeln allerdings innerhalb kuerzester Zeit diese idyllische Baeche zu reissenden Stroemen und lassen die Fluesse im Tal auf ein Maximum ansteigen.  Die Milford Sounds liegen wie der Rest der Landschaft im vom Regen getraenkten Nebel.Wahrscheinlich wirken sie gerade deswegen auf uns so unwiderstehlich und anziehend.

 

 12.1.2004 Riverton

Jolanda und die Schere

Ein lilafarbener Plastikumhang haengt laessig ueber Ingos Schultern. Auf dem Holztisch der Terasse breitet Jolanda feinsaeuberlich Ihr "Werkzeug" aus. Die silberne Schere aus Kobaltstahl glaenzt in der Sonne. Mit einer langen Spange steckt sie locker die Haelfte von Ingos blonder Haarpracht nach oben. Straehne fuer Straehne zieht sie die mittlerweile schulterlangen Zotteln gekonnt durch ihre Finger, um hier und dort eine Kammbreite zu reduzieren. "Sie ist ziemlich aus der Uebung." hoert man Daniel laestern. "Mich schneidet sie immer in den Hals beim Anrasieren des Nackens!" Eine senkrechte Falte bildet sich ueber Jolandas Nasenwurzel, als sie eine imaginaere Ohrfeige in seine Richtung fuchtelt. Nach 15 Minuten ist sie fertig. Einen Schritt zurueckgetreten begutachtet sie ihr Werk kritisch von allen Seiten. "Das sieht ja aus, als waere gar nichts geschnitten worden!" Mit seinen raspelkurzen Haaren kann sich Daniel nur muehsam mit dem Ergebnis anfreunden. Ich klaere ihn auf. Ein paar Millimeter ueber den Ohren, dass das reicht. Das Deckhaar kann vernachlaessigt werden und den Pony nur gerade soviel, dass die Haare unter dem Motorradhelm nicht in den Augen pieksen. Es ist wahrlich nicht einfach, Ingos Anspruechen gerecht zu werden. Aber Jolandas Arbeit kann sich durchaus sehen lassen.  Unsere Freundin Peggy aus Bremen hat einmal einen ganz passenden Spruch dazu losgelassen. Eines Abends, wir sitzen gerade bei einem schoenen Glas Rotwein beisammen, betrachtet sie konzentriert Ingos Haare und meint: "Ich habe immer das Verlangen, mit der Schere beizugehen..."

 

12.1.2004 Catlins

Genug von der Brutkastenhitze des Landesinneren. Uns zieht es wieder an die Kueste. Die Catlins Coast liegt im untersten Suedosten der Suedinsel. Curio Bay, die windumtoste Landspitze der Catlins,  ist unser heutiges Etappenziel. Eine Wand aus aufgewirbeltem Staub und Dreck erschwert die Anfahrt ueber die letzten 20 km losen Schotter. Der Sturm, der ueber uns hinwegfegt,  zehrt an den Nerven. Zumindest an meinen. Wuetende Boen schuetteln das dichte, mannshohe Schilf an der Bay wie Strohhalme durcheinander. Von einer Stunde auf die andere beendet allerdings der Wind sein wildes Spiel und die Bay ueberrascht lammfromm mit blauem Himmel und Sonnenschein.

Wie gepresste, dunkelbraune Wuerste liegen Seals (Robben) bewegungslos und faul auf den aufgewaermten Ufersteinen. Die Ebbe legt Reste eines ehemaligen Waldes frei. Unter Schichten von Vulkanschlamm praesentieren sich versteinerte Baumstuempfe und umgekippte Staemme. Vor 180 Millionen Jahren befand sich hier einmal ein ueberflutetes Waldgebiet.  

In den fruehen Morgenstunden des kommenden Tages kuendigt Ingos Reisewecker erbarmungslos das Ende der Nacht an. Nicht ohne Grund verzichte ich auf mindestens eine Stunde heiligen Schlaf.  Die Cathedral Caves, zwei miteinander verbundene Hoehlen, lassen sich lediglich eine Stunde vor oder nach Ebbe betreten. Harte und konsequente Arbeit des Meeres verursachte im Laufe der Zeit diese Auswaschungen, die sich auf eigene Faust erkundigen lassen. Unser neuseelaendischer Platznachbar Ken scheint auch ein Fruehaufsteher zu sein. Gutgelaunt erzaehlt er uns waehrend des Fruehstuecks von seinem  Beruf als Lehrer, den er in einem Dorf auf der Nordinsel ausuebt. Seine 16-jaehrige Tochter Emma waere begeistert, versichert er,  von Ingo auf dem Motorrad mitgenommen zu werden. Ich frage mich insgeheim, ob Emmas Interesse eher der BMW oder Ingo zuzuschreiben waere. Ken ist gerade dabei, eine herzliche Einladung in sein Haus auszusprechen, als Ingo mit einem kleinen Aufschrei die Uhr an seinem  Motorrad entdeckt. Die Zeit ist verflogen und die Flut wird kaum auf uns warten. Hastig bedanken wir uns uns schwingen uns auf die Mopeds. Die groben Contis wirbeln beim Losfahren dicke Staubwolken auf. Knapp vor Torschluss erreichen wir die Cathedral Caves. Aufgeregt rennt die Parkplatzverwalterin auf uns zu. "Beeilung, Beeilung!" Wir sind die letzten, die zu dem halbstuendigen Abstieg zum Meer zugelassen werden. Wie immer besitze ich auch diesmal ein unverbesserliches Gottvertrauen, flechte meine Haare zu einem Zopf und muss natuerlich auch noch auf die Toilette. Ingo tippelt unruhig neben mir her. Mit langen, strammen Schritten beginnt er den kurzen Marsch bergab in Richtung Strand. Fast muss ich neben im joggen und meine Kondition ist momentan wirklich nicht die beste. Nach der Haelfte des Weges erwaehnt Ingo fast beilaeufig, er glaube nicht, dass wir noch in die Hoehlen hineinkommen. "Bloedsinn!" meine Antwort. "Wir brauchen ja nicht ewig drin zu bleiben. Und wenn die Flut kommt, gehen wir halt wieder." Tief in meinem Inneren bin ich halt doch eine Fraenkin, die von Ebbe und Flut nicht wirklich viel Ahnung hat. Den Beweis dafuer liefert der Hoehleneingang beim Erreichen. Gut kniehoch steht  bereits das Wasser darin und von Minute zu Minute drueckt die Flut den Wasserstand nach oben. Ingo ist sichtlich enttaeuscht. Lange spricht er nicht mit mir. Erst als wir eine gute halbe Stunde spaeter die Mc Leans Falls erreichen, wandern seine Mundwinkel wieder nach oben.  Gluecklich baut er Stativ  und Kamera vor den spektakulaeren Wasserfaellen auf, vor denen sich durch das herabtosende Wasser in die Sonnenstrahlen kleine Regenbogen bilden.

4. Januar 2004 Middlemarch, Alexandra

Petrus hat seinen Haarfoehn auf hoechste Stufe gestellt und richtet ihn erbarmungslos auf die Erde.  Heisser Wind brennt auf unserer Haut und schuettelt uns unnachgiebig zu allen Seiten durch. Ich komme mir vor wie im Waeschetrockner. Wir durchqueren das Maniototo Plain. Das flache Hochland wird von niedrigen Gebirgszuegen umfasst und ist bekannt fuer seine Backofentemperaturen. Der Ort Middlemarch an der SH 87 besteht aus einem Cafe, einer Tankstelle und einem Takeaway-Imbiss. Man kann nicht sagen, dass hier das Ende der Welt ist, aber man kann es von hier aus zumindest sehen. Ausgelaugt bringen wir unsere Motorraeder vor dem einzigen Cafe zum Stehen und stopfen uns voll mit Milchshakes und abenteuerlicher Eiscreme. Tip Top Eis klingt zwar nach Badezimmerreiniger mit Frischezauber, dahinter verbirgt sich aber eine riesige Portion gelber und rosafarbene Eismasse. Eingearbeitete Marshmellows in Form unserer Ohrenstoepsel runden den Geschmack ab. Zumindest innerlich gekuehlt wagen wir uns erneut in die karge, trockene Felslandschaft. Der Grossteil der Strecke verlaeuft entlang dem Taieri River. Nach etwa 150 km liegt Alexandra vor uns, das von den Einheimischen liebevoll Alex genannt. Ein riesiges weisses Ziffernblatt schmueckt die Felskulisse am Rande des kleinen Staedtchens. Seine Entstehung im Jahre 1862 ist dem Goldrausch zu verdanken, der vier bombastische Jahre anhielt. Heute ist Alex ein wohlhabendes Versorgungsoertchen, in dem wir einen gesamten Tag die Computer des Hinterzimmers der oertlichen Videothek in Beschlag nehmen.

 

 31.12.03 Silvester in Oamaru

Seit Stunden leidet Ingo unter Kopfschmerzen. Eine ekelhafte Migraene verbunden mit leichter Uebelkeit verursacht durch das mal wieder wechselnde Wetter. Eine dicke Wolkenschicht verdeckt den Himmel der Silvesternacht und um unsere Ohren weht ein warmer, drueckender Wind.

Zusammen mit Kathy, Kerstin und Murray sitzen wir im "The Last Post" Restaurant, in dem sich unsere Gaumen an Blue-Cod-Fisch und Schweinefilet erfreuen. Ich nippe an dem leckeren suesslichen Speights Dark Bier und erlaeutere Kathy unter zunehmendem Alkoholeinfluss, wie feinfuehlig Ingo jedesmal auf  Wetteraenderungen reagiert. Er ist eben sehr  "delicious", erklaere ich. Kathy's Mundwinkel zucken. Es erfordert fuer sie enorme Zurueckhaltung, nicht loszuprusten. Sie ist sicher, erwidert sie,  Ingo ist "delicious". Allerdings vermutet sie, das Wort das ich benutzen wollte ist "delicate" -feinfuehlig-. Der Lacher des Abends ist auf meiner Seite und mit roten Wangen nippe ich verlegen am Speights Dark. Das war hoffentlich das letzte Fettnaepfchen fuer dieses Jahr, das sich mir in den Weg stellt.

Ohne Knallerei und Feuerwerk begruesst Oamaru das neue Jahr. Mit einer Flasche Sekt in der Hand stehen wir in der warmen Nacht. Es gehoert zur Lebenskunst, die schoenen Dinge im Leben nicht aufzuhoeren, sondern ausklingen zu lassen. Mit diesem Vorsatz leeren wir den letzten Rest des Sektes und verkriechen uns in die Dunkelheit unserer Zelte.

Wir verbringen bereits die vierte Nacht auf dem Campingplatz in Oamaru. Infolgedessen hat sich Kerstin  einen neuen Namen fuer uns ausgedacht: Tourensteher statt Tourenfahrer. Das koennen wir natuerlich nicht auf uns sitzen lassen. Am New Year Morgen satteln wir unsere Motorraeder und treiben weiter nach Dunedin in Richtung Sueden, um von dort nach Middlemarch in die Berge abzubiegen.

                       

    

 

29.12.2003  St.Arnauds

Hinter einem Vorhang aus schimmernden Nebel wispern Millionen Nadeln im Wind. Zahlreiche hellgruene Mooskissen reihen sich wie eine Perlenkette aneinander, lassen die ewigen Regenfaelle hier in Neuseeland erahnen. Im verblassenden Licht des Spaetnachmittages liegt der dunkle, feuchte Wald vor uns, wie ein Ausschnitt aus dem beruehmten Kinofilm „Herr der Ringe“. Gleich tauchen die schwarzen Reiter aus dem Nichts auf.... Hier in St. Arnauds liegen gleich zwei Seen bilderbuchmaessig nebeneinander. Der Lake Rotoiti und der Lake Rotoroa, klar und tief, umgeben von massiven Gebirgszuegen. Ein Ort, an dem alles moeglich und nichts mehr notwendig ist. Ein Traum aus Natur und Einsamkeit, in den wir fuer zwei Tage eintauchen.  Gedanklich schon im Nachmittagsschlaf kehren wir von unserer dreistuendigen Wanderung zurueck. Schon von weitem sehen wir eine Motorradfahrerin winken. Kerstin aus Aachen, unterwegs mit einer geliehenen Yamaha XT 225, hat uns per Internet aufgespuert und kommt mal eben auf’n Tee vorbei. Er ist braun, heiss und wohlriechend und aus einem Becher werden drei. Etliche Stunden verquatschen wir, werden gefangen genommen von alten Reiseerlebnissen und Geschichten aus dem Arbeitsleben. Gnadenlos ruft uns die aufziehende Kaelte in die Gegenwart zurueck. Das Nudelwasser loest das Teewasser ab und mit dem letzten Rest Wein verkriechen wir uns langsam in das warme Zelt. Die kommende Nacht soll die kaelteste unserer bisherigen Reise werden. Bei 1 Grad Celsius erwachen wir morgens mit kalten, roten Nasenspitzen. Wie gut,  dass wir vor wenigen Tagen saemtliche Wintersachen nach Hause geschickt haben...

 

Rainbow-Road

Vor uns liegt die Rainbow-Road, eine 100 km lange Schotterpiste, die ueber der Baumgrenze auf 1000 Metern liegt. Der hoechste Punkt ist der Island Pass mit 1400 Metern. Viele Passagen lassen sich nur im Stehen fahren und die Flussdurchfahrten erweisen sich stellenweise als ausgesprochen schwierig –fuer uns jedenfalls-. Loser Kies und grosse, lockere Steine stellen uns auf eine harte Probe. Eine hohe Geschwindigkeit verhindern die versteckten, knietiefen Schlagloecher und so eiern wir genusssuechtig ueber 6 Stunden durch das Gelaende. Das ist ja wie Aerobic, auf und nieder, aufstehen und hinsetzen, und immer schoen dem Gelaende anpassen... Wir stehen mal wieder vor einer Flussdurchquerung. Sieht verdammt schwierig aus. Ingo faehrt vor, kommt ins straucheln. Langsam kippt die schwere BMW in Richtung Wasser, als er mit dem linken Fuss massiv ins Wasser stampft. Mit seinem langen Bein drueckt er die 250 Kilo wieder in die Senkrechte. Na super, wenn mir das passiert, habe ich verloren. Bei meinen 1.65 Metern komme ich gerade so mit dem Fussballen auf dem Boden an. Eine kippende Maschine halte ich beim besten Willen nicht. Ich rufe mir saemtliche Tipps und Ratschlaege aus den letzten vier Jahren Endurotraining ins Gedaechtnis. Nicht anhalten, Gas beibehalten und niemals vor das Vorderrad gucken. Wie eine Achterbahnfahrt wirkt meine Wasserdurchquerung, aber ich komme heile auf der anderen Seite des Flusses an. Supi! Das waere geschafft! Aber vielleicht sollte ich das naechste Mal das Helmvisier schliessen. In kleinen Rinnsalen laeuft das hochgespritzte Wasser meine Sonnenbrille hinunter, um sich den Weg ueber meine Wangen in den  Halsausschnitt zu suchen.

              

        

Kokopu-Cottage

Warmer, orkanartiger Wind loest die starken Regenfaelle kurz vor dem schnuckeligen Staedchen Akaroa ab. Hier auf der Banks-Peninsula erwarten uns Kathy, Murray und natuerlich Mister Edward der Puter, um gemeinsam ruhige Weihnachtstage zu verbringen. Die Kokopu-Cottage, ein kleines, windschiefes Holzhaus mit knarrendem Fussboden, liegt am Ende einer kurvenreichen Schotterstrasse. Durch den hinter Teil des Hauses gelangt man in den Garten, durch den froehlich ein schmales Baechlein plaetschert. Die darueber fuehrende Holzbruecke aechzt beim Begehen und nach ca. 100 Metern Trampelpfad durch das kniehohe Gras finden wir eingebettet von Bueschen und Baeumen eine in Stein gehauene Badewanne. Ein schoenerer Platz zum Baden ist schwer vorstellbar. Der Korb mit dem gehackten Feuerholz steht daneben und wartet darauf, verbrannt zu werden. Das Heiligabendbad gehoert mit zu den Zeremonien bei den Kiwis. Es beginnt bereits zu daemmern, als Ingo Wasser in den weissen Trog fuellt und mit Zeitungspapier und trockenen Zweigen versucht, das Feuer darunter zu entfachen. 45 Minuten spaeter haben wir wohliges, dampfendes Badewasser, das die Luft um uns herum in sanften Dunst huellt. Die Dunkelheit breitet sich ueber den Bueschen und Baeumen aus und die Landschaft um uns herum gibt ihren Glanz an den naechtlichen Sternenhimmel ab. Eine Kerze am Wannenrand spendet uns sanftes Licht und unsere Schatten wachsen in die Stille der Dunkelheit.  

Weihnachten wird in Neuseeland lediglich am 25. Dezember gefeiert und natuerlich passen wir uns den Traditionen an. Puenktlich um die Mittagszeit wandert Mister Edward in den vorgeheizten Backofen. Nach drei Stunden liegt er braun und knackig vor uns, umgeben von Kumaras (Suesskartoffeln) und Parsnip, eine Art weisse Karotte. Yam haben wir –oder eigentlich Ingo– im Gemueseladen nur der Optik wegen gekauft. Ein kleines, orangenes knollenartiges Gewaechs, das am ehesten mit dem Geschmack eines geschmorten Apfels vergleichbar ist. Weihnachten am anderen Ende der Welt. Uns gefaellt es!       

                            

        

20. Dezember 2003, Wellington

Ich habe Hunger! Auf Menschen, Cafe's, schraege Typen und... das wird mir keiner glauben.... auf shoppen! Was mir zu Hause am meisten verhasst war, vermisse ich hier in der gruenen Wildnis Neuseelands. Die Faehrverbindung von der Nord- auf die Suedinsel verkehrt regelmaessig von Wellington aus und so bedarf es keiner grossen Ueberredungskunst, Ingo von einem Zwischenstopp in der Hauptstadt Neuseelands zu ueberzeugen. Unsere Ueberlegungen, ein geeignetes Hotel mit sicherem Parkplatz zu finden, erledigt sich von selbst, als Kathy uns von ihrer Software-Firma in Wellington erzaehlt. Eine komplett eingerichtete Wohnung befindet sich ueber ihren Bueroraeumen, die sie uns zur unbegrenzten Nutzung zur Verfuegung stellt. Hoffentlich koennen wir diese unbeschreibliche Gastfreundschaft jemals wieder gut machen. Nur zu gerne nehmen wir das Angebot an.  

Wellington ist eine Stadt randvoll gefuellt mit Flair, Charme und Charakter. Das alternative Einkaufsviertel in der Cubastreet nimmt mich einen vollen Tag in Beschlag. Sinnigerweise haben Ingo und ich uns fuer den gesamten Tag getrennt und erst fuer den Abend wieder verabredet. Maedels, Ihr werdet dieses unertraegliche, nicht in Worte zu fassende Gefuehl kennen, den wartenden Partner zwischen den Kleiderstaendern fingertrommelnd und mit Blick zur Uhr stehen zu haben... Das kann ich mir nicht antun! Ungestoert belagere ich Umkleidekabinen, durchstoebere Buecherlaeden und freue mich an der Lebensweise der Kiwis.  Noch wenige Tage sind es bis zum Weihnachtsfest.  Auch Kathy feiert mit ihrer 12-koepfigen Belegschaft samt Familie das nahende Jahresende. Dem zum Buero angrenzenden Garten entweicht der Geruch von Gegrilltem. Komplikationslos werden Liegestuehle aufgestellt, Weinflaschen entkorkt und Salate herum gereicht. Noch dominiert Kindergeschrei und die Sonne gibt ihr bestes, den Tag gelingen zu lassen.

Innerhalb kurzer Zeit stellt sich Partylaune ein und Kathy ueberlaesst uns waehrend des gesamten Tages ihre PC's. Wir nutzen die Zeit, unsere Weihnachts-e-Mails zu schreiben und den Reisebericht auf den neuesten Stand zu bringen. Erste Nachrichten ueber Schnee und Eisregen in Deutschland erreichen uns, als wir laechelnd durch das Fenster in den Garten sehen, aus dem  winkende Sonnenbrillengesichter zuruecklaecheln. Der Abschied am naechsten Morgen faellt uns schwer, wenn er auch nur fuer wenige Tage ist. Ueber Weihnachten haben uns Murray und Kathy auf die Suedinsel Neuseelands eingeladen. Eine Blockhuette in den Bergen wird uns ein Puteressen gekoppelt mit hemmunglosem Weintrinken ermoeglichen. Ingos Augen strahlen mit der Sonne um die Wette,  auch dieses Jahr nicht auf das geliebte Federvieh verzichten zu muessen. Sogar einen Namen fuer das Tier hat er schon gefunden: Mister Edward. Wie jedes Jahr wird solch ein armer Vogel getauft um im Anschluss erbarmungslos zerrupft zu werden.

 

   17. Dezember 2003

Waitomo-Caves und Otorohanga

Unsere beiden Koepfe stecken ueber der Landkarte zusammen. Es ist nicht weg zu diskutieren. Resigniert gebe ich meinen Kampf gegen Ingos Argumente auf. Auf einer imaginaeren Linie zwischen der Coromandel-Halbinsel und Wellington  liegen die Waitomo-Caves und es bietet sich bestens an, dort vorbei zu fahren. Haette ich die Wahl, wuerde ich mit Vollgas Waitomo passieren. Aber nun mal Klartext. Waitomo ist ein kleines Dorf mit grossem Ruf. Der rund 16 km suedlich von Otorohanga gelegen Ort ist  Ausgangspunkt fuer Hoehlenerkundigungen. Sickerwasser hat unter der Erde Felsen zu bizarren Formen und einem einzigartigem Hoehlensystem verholfen. Die Hoehlen koennen im Rahmen von Erkundigungstouren besichtigt werden. Angefangen von unterirdischen Wanderungen mit idyllischer Flossfahrt bis hin zu Unterwasser Rafting-Touren. Letztere bekamen wir von unseren hollaendischen Freunden Jan und Birte zum Abschlied geschenkt. Schon beim Lesen des Namens auf dem Prospekt bekomme ich eine Gaensehaut: “Black Water Rafting”. Wissen die beiden denn nicht, dass ich Hoehen- und Tiefenangst gekoppelt mit Klaustrophobie habe? Um 15 Uhr geht es los und den Vorrat an Notfalltropfen reduziere ich auf ein Minimum.  

Ein braungebrannter Typ wie ein Schrank namens “Hob” gibt uns erste Instruktionen. Neonprenanzuege und –schuhe werden angepasst, darueber weisse Gummischuhe mit griffiger Sohle. Damit wir nicht abrutschen bei dem reissenden Wasser. Hilfe, ich werde ertrinken. Bin total sicher. Noch der Helm mit Stirnlampe –wir sehen ganz schoen bescheuert aus. Der Schrank-Typ wuerde im Kreis lachen, wenn er keine Ohren haette. Er fuehrt uns zu einem Haufen alter Autoschlaeuche. Wir sollen uns einen davon aussuchen, durch den unser Popo passt, damit wir damit in der Hoehle den Wasserfall runterspringen koennen. Mir ist uebel… Im Entenmarsch stapfen wir zusammen mit drei Japanern, zwei Englaendern, zwei Indern und einer Kanadierin in den dunklen  Bauch der Hoehle. Leichter Nebel liegt ueber dem Eingang oder ist es meine beginnende Ohnmacht?

Kalt, nass und unheimlich liegt die Dunkelheit vor uns und bereits nach der ersten Biegung verschwindet das Tageslicht hinter uns. Das Wasser, etwa kniehoch, wird lauter und reissender. Es ist wahnsinnig kalt, die Haende werden im Nu unbeweglich, nur die waermende Schicht zwischen Koerper und Neoprenanzug ist angenehm. Um in den Hauptteil der Hoehle zu gelangen, gilt es, eine steinerne Bruecke zu unterqueren. Mittlerweile stecken wir bis zum Hals im lebhaften Wasser. Wie ausgemessen passt zwischen Bruecke und Wasseroberflaeche unser Kopf hindurch. Was machen die eigentlich bei Hochwasser, verursacht durch heftige Regenfaelle?  Dann ploetzlich stehen wir vor einem ca. 3 m hohem Wasserfall. “Nehmt die Reifen an Eurer Hinterteil. Ihr springt ruecklings von hier oben runter. Haltet den Reifen so lange in dieser Position, bis Ihr das Becken unten erreicht habt. Ich bin als zweite an der Reihe und meine gute Erziehung erlaubt es mir nicht, mit dem Instruktor noch laenger uebers Umkehren zu diskutieren. Nase zu und durch. Verflixt, ist das eine Stroemung, aber ich lande mit meinem Hintern ziemlich weich auf dem Autogummi. Halb so schlimm, wie ich dachte. Beinahe verspuere ich Freude an dem ganzen. Auf den Reifen  sitzend paddeln wir weiter, das heisst, eigentlich traegt uns ohne grosse Anstrengung die Stroemung vorwaerts. Ploetzlich die Anweisung von Hob: “Stirnlampen  ausschalten und Augen  nach oben!” Die Grotte ist in einem gespenstischen, mattgruenen Licht erleuchtet, das von unzaehligen Gluehwuermchen abgegeben wird. Die Hoehlendecke erscheint wie der Nachthimmel, von dem man nicht sagen kann, ob er sich einen oder hundert Meter ueber  unserem Kopf befindet. So gleiten wir weiter im Dunkeln von Biegung zu Biegung, tasten uns an den kalten Hoehlensteinen entlang, bis endlich das vertraute Tageslicht wieder vor uns erscheint. Nach einer Stunde unter der Erde rudern wir dem Ausgang entgegen und ich glaube, jeder ist erleichert, in die Sonne blinzeln zu koennen. Eine beeindruckende und grandiose Unterwasserfahrt, das muss ich im Nachhinein zugeben.

Das Kiwihaus in Otorohanga bietet Besuchern die Moeglichkeit, den scheuen, struppigen, grauen Vogel aus naechster Naehe zu sehen. Das Wahrzeichen der Neuseelaender ist etwa so gross wie ein Huhn und hat einen ueberdurchschnittlich langen gelben Schnabel. Den braucht er auch, denn so kurzsichtig wie er ist, scheint er diesen als Blindenstock zu benutzen. Der Kiwi besitzt einen ausgesprochen guten Geruchssinn. Mit dem Schnabel, an dessen Ende sich die Nasenloecher befinden, spuert er Wuermer, Kaefer, Spinnen, Froesche und Beeren auf. Zusaetzlich ist der Kiwi mit einem aeusserst feinen Gehoer ausgestattet. Feinde im eigenen Revier bleiben ihm deswegen nicht lange verborgen. Trotzdem lauern auf den flugunfaehigen Vogel allerlei Gefahren: Schweine, Hunde, Katzen, Wiesel, Possume. In ganz Neuseeland gibt es mittlerweile nur noch 15.000 Exemplare. In den Waeldern sind aus diesem Grund Fallen mit vergifteten Koedern aufgestellt, um speziell die Zahl der Possume zu verringern.  

 

Tongariro-Nationalpark und Waitarere

Der Sueden der Nordinsel ist fast erreicht. Von Wellington aus wollen wir auf die Suedinsel uebersetzen. Die netten Leute, die wir unterwegs treffen, sind schon gar nicht mehr alle namentlich zu nennen.  

Da sind Annett und Steve aus dem Norden Londons mit ihrem gnadenlos trockenen Humor. Das erste Zusammentreffen mit den beiden auf einem Campingplatz im Tongariro-Nationalpark hat fuer mich bereits in den ersten fuenf Minuten ein Fettnaepfchen  bereit gestellt. Habe ich doch gewagt, nach nur wenigen Saetzen zu fragen, ob sie aus den  Staaten kaeme. Sperrangelweit steht Steves Mund offen, waehrend er schauspielerisch nach Luft japst. Ich  glaube, so eine Verwechselung ist mit das Schlimmste, was man einem Englaender antun kann. Aber ehrlich, so weit entfernt lag ich gar nicht mit meiner Vermutung. Die beiden haben die letzten 6 Monate in den Staaten verbracht und beenden nun ihre 11-monatige Reise in Neuseeland.

 Colin und Jill mit ihren beiden Kindern Jamie und Sarah aus Australien sitzen  beim Abendessen zufaellig an unserem Tisch und wir geniessen einen unterhaltsamen Abend. Schnell sind die Adressen ausgetauscht und wir haben eine Einladung nach “Down under” fuer unseren Australienaufenthalt in ein paar Wochen. Unbeabsichtigt packt Colin am Ende des Abends Ingos Regenjacke zusammen mit den anderen vier Jacken ein und verstaut sie in deren Huette. Dummerweise haben alle Jacken die gleiche Farbe, naemlich blau. Am Zelt bemerkt Ingo den Verlust seiner Jacke. Eilig flitzt er in die Kueche des Campingplatzes zurueck. Ein leerer Tisch mit sechs leeren Stuehlen findet er vor, aber keine Regenjacke. Ein Diebstahl innerhalb weniger Minuten, das ist ja seltsam. Da muss jemand direkt darauf aus gewesen sein. Wenigstens der erste Diebstahl waehrend unserer bisherigen Reise und hoffentlich der einzige. Aergern hilft nichts. Vielmehr schwingt sich Ingo am darauffolgenden Morgen auf sein Motorrad, um im 50 km entfernten Ort Turangi nach einem passenden Ersatz zu suchen. Die Zeit nutze ich zum Waeschewaschen und zum Quatschen mit anderen Reisenden. Jill laeuft mir ueber den Weg und ich erzaehle ihr erbost von dem “Diebstahl”. Wortlos hoert sie sich meine Geschichte an. Ob ich ihr kurz in deren Huette folgen moechte, erkundigt sie sich, einige blaue Jacken wuerden dort herumhaengen.  Na, vielleicht ist Ingos ja dabei… Und tatsaechlich, unschuldig haengt sie am Haken neben dem Eingang, in einem Wust aus blauem Goretex.

Im stroemenden Regen lassen wir den Tongariro-Nationalpark hinter uns. Dicke, sattgelbe Ginsterbuesche tupfen die immergruenen Huegel. Aprupt aendert sich das Landschaftsbild, als wir die sogennante “Desertroad” durchfahren. Es handelt sich hier zwar um keine richtige Wueste, denn dafuer faellt hier viel zu viel Regen. Aber wuestenaehnlicher ist es sonst nirgendwo in Neuseeland. Eine vegetationslose Vulkanlandschaft mit trostlosen Grasbuescheln.  

Ein Highlight unserer Reise bilden sicherlich Kathy und Murray aus Waitarere, das ca. 100 km noerdlich von Wellington liegt. Die beiden Mittvierziger lernen wir ueber  die Homepage von Horizons Unlimited kennen. Diese Internet-Community bietet Motorradreisenden auf der ganzen Welt die Moeglichkeit, unterwegs in fremden Laendern Fragen zu stellen, Informationen zu bekommen oder auch Leute zu treffen. Ueber  die Wellington Community melden sich Kathy und Murray und wir kontaktieren die beiden, um Informationen der Faehrbuchung ueber die Cook-Street zu bekommen, die Wasserstrasse zwischen der Nord- und der Suedinsel.  Innerhalb kurzer Zeit erreicht uns per e-Mail eine ausfuehrliche Beschreibung der Faehrbuchung mit speziellen Tipps fuer die Uebersetzung mit unseren Motorraedern.  Ausserdem bieten uns die beiden an, bei ihnen zu Hause vorbei zu schauen, falls unsere Route ueber Waitarere fuehrt. Ein Uebernachten waere ebenfalls kein Problem, da zahlreiche Schlafzimmer im Haus vorhanden  sind. Wie gastfreundlich! Gerne nehmen wir die Einladung an.  

Fuer den Besuch aus Deutschland haben Kathy und Murray ihre Motorradfreunde zu einer Barbecueparty eingeladen: John, der Africa-Twin-Fahrer mit seiner Frau Gill und auch noch Steve, ebenfalls ein Africa-Twin-Fahrer, aber einer der ganz verrückten Sorte. Mit einer schoenen Flasche Wein und leckerem Gegrillten lauschen wir spannenden Reisegeschichten, endlosen Traeumen und verrueckten Offroad-Erlebnissen. Steve, John und Murray fahren seit Kindesalter Offroadbikes. Das Uebungsgelaende hat Murray direkt vor der Haustuer, da der am Haus angrenzende Wald zu seinem Eigentum gehoert

. Der naechste Tag ist komplett fuer eine ausfuehrliche Motorradtour reserviert. Dichtes Gestruepp erschwert die Fahrt durch den feuchten, moosigen Wald. Murray zeigt uns wahrlich nicht die einfachsten Moeglichkeit, das Meer zu erreichen. Einer der Drehorte fuer den dritten Teil von “Herr der Ringe” liegt auf unserem Weg, bevor wir die Motorraeder ueber angeschwemmtes Treibholz manoevrieren muessen. Zur Belohnung geniessen wir eine menschenleere Strandfahrt. Steve und John stossen dazu und wir bekommen das grenzenlose Hinterland Neuseelands zu Gesicht. Endlos steile Schotterpisten schlaengeln sich in engen Kurven auf die in Nebel gehuellten Berge. Lediglich eine Fahrzeugbreite liegt zwischen dem steilen Abhang und den zerkluefteten Bergen. Auf dem nebligen Hochplateau laesst sich die Hand vor Augen nicht erkennen. Undurchdringbarer Matsch wartet auf uns Ich bemuehe mich, nicht zu fallen, muss doch meine Endurohose regelmaessig neben mir im Zelt schlafen. Das ist Enduro-Training live. In Deutschland bezahlen wir viel Geld dafuer, ein Wochenende im Dreck zu verbringen. Hier in Neuseeland gibt’s das gratis. Aber ein bisschen “crazy” sind sie schon, die Jungs. Auf einer Schotterpiste von ca. 8 km liefern sich Murray, Steve und John ein Wettrennen.. Mit 170 km/h heizen sie angstlos ueber die losen Steine. Am Ende liegt Murray mit seiner Transalp eine Nasenlaenge vor den beiden Africa Twins, von denen es in ganz Neuseeland nur 25 Exemplare gibt.

Den kroenenden Abschluss des Tages bildet Steves Angebot, ihm beim Melken seiner 163 Kuehe zu helfen. Mit einer kleinen, wendigen Crossmaschine treibt er gekonnt die “Damen” von der Weide, um sie im geplasterten Unterstand an die Melkmaschinen anzuzapfen. 19 Kuehe auf jeder Seite, in der Mitte die “Zapfanlage”. Die Kuehe wirken nervoes, fuehlen sich gestoert von uns Fremdlingen. Die Melkvorrichtung ist ein Vierergespann, bei dem ein Hebel am Schlauch umgelegt wird, um einen Saugzustand  zu erzeugen. Der Kuheuter wird damit foermlich eingesogen. Fuer die Kuehe anscheinend keinesfalls Gewohnheit, da sie aufgeregt umhertippeltn. Vielleicht sind sie ja kitzelig.

 

 6. Dezember 2003 Bay of lslands/Auckland

Wir befinden uns wieder kurz vor Auckland, haben die wunderschoene Bay of Islands hinter uns gelassen. Zum Glueck sind wir noch nicht hier, um den Rueckflug antreten zu muessen. Vielmehr beginnen in einer Woche die neuseelaendischen Sommerferien. Und bevor alle Kiwis die Kuesten belagern, wollen wir die Suedinsel Neuseelands erreicht haben. Eine wesentlich geringere Bevoelkerungsdichte und Landschaften, die an Kanada erinnern sollen uns erwarten. .

6. Dezember 2003 Coromandel Peninsula

Aechzend suchen sich die BMW's ihren Weg durch den groben Schotter. Die kurvige, schmale  "Gravelroad" von dem Ort Thames auf der Coromandel-Halbinsel hinein in die Berge erfordert Konzentration. Wir ziehen eine endlose Staubfahne hinter uns her. Dann endlich! Nach der letzten Kurve das Hinweisschild:  "Totara Flat Campground", einer aus der Gruppe der DOC-Campingplaetze. Eine grosse gruene Wiese, umgeben von wildem Urwald. Der kleine, einfache Bretterverschlag dient als Toilette. Neben uns rauscht ein schmaler  Fluss durch das steinernes Bett.  Schnell ist das Zelt aufgebaut. Der 4-Liter-Wassersack, aufgefuellt mit frischem Flusswasser, dient uns als Wasserhahn. Herrlich, ich wollte schon immer Cowboy sein! Der Cowboyhut, den ich wohlweislich aus Deutschland mitgebracht habe, tut sein uebriges. Nun fehlt nur noch die Marlboro. Die aussichtslose Suche nach dem naechsten Zigarettenautomaten spare ich mir.  Langsam verschwindet die Sonne am lilafarbenen Horizont. Der junge Typ mit Zigarette im Mundwinkel neben uns stapelt  Aeste und trockenes Laub aufeinander und schnell ist ein Lagerfeuer entfacht. Zaghaft beginnt er, auf seiner Gitarre zu klimpern. Herrlich... Als er mit tiefer Stimme Garth Brooks in die Nacht hinein singt, muss ich den Kloss in meinem Hals herunter schlucken.

 

6. Dezember 2003 Bay of Islands

Der Skipper laesst ein blaues, grossmaschiges Netz zu Wasser. Scheppernd hakt er die Blechleiter am Rande des Bootes ein, die den Einstieg in das Netz erleichtern soll. Der Kapitaen bruellt gutgelaunt durch die Lautsprecherboxen: "Come on, das Wasser ist recht warm, 23 oder 24 Grad. Und am besten lassen sich die Delphine vom Wasser aus beobachten!" Neongelbe Tauchermasken saugen sich an den Gesichtern der Kinder, Maenner und Frauen fest, die der Aufforderung nachkommen und zu dutzenden ins Netz springen, welches aufgrund der Last bedrohlich unter die Wasseroberflaeche sinkt.  Ich starre auf das Meer. 24 Grad soll das haben? Niemals! Nur zu gut erinnere ich mich an das Horner Bad in Bremen, das viele Wochen benoetigt, um das Wasser ohne Zuheizen einigermassen zu erwaermen. Mein Blick verfolgt den des Kapitaens. Grinsend betrachtet er die zitternden und bibbernden Menschlein, die sich krampfhaft an das Netz klammern. Blaue Lippen und Gaensehaut dominieren bei dem Anblick. Na, ein netter Joke vom Kapitaen. Augenzwinkernd verraet er uns, dass um diese Jaherszeit das Wasser hoechstens 18 Grad misst.... Die Delphine haben laengst das Weite gesucht, aber die Bay of Islands verspricht noch mehr Standorte, an denen die schlauen Meeressaeuger zu finden sind.  

                       

1. Dezember 2003: Maitai-Bay/Cape Reinga/90-Miles-Beach

Es gibt viele Moeglichkeiten, sich an Dingen auf einer Reise zu stoeren. Ob es der nicht funktionierende Benzinkocher ist oder zwei Grashalme im Zelt liegen. Viele Vorfaelle ereignen sich taeglich, ueber die man sich aufregen kann oder die einen zur schlechten Laune treiben. Gestern waren es die kalten Duschen auf dem DOC-Campingplatz. Brrrrr. Aber der Name drueckt bereits alles aus. DOC steht fuer Department of Conservation. Ein Naturplatz, in dem das Wort NATUR gross geschrieben wird. Was also will man fuer Luxus erwarten???

In Neuseeland ist kein Ort weiter als 70 km von der Kueste entfernt. Auch wir haengen noch immer an einer solchen herum. Umgeben von einem hufeisenfoermigen weissen Sandstrand mit tuerkisfarbenen Wasser. Die gruen geschwungenen Huegel um uns herum runden das Bild zur traumhaften Perfektion ab. Muss man sich wirklich an Kleinigkeiten stoeren? Zu sehr verwoehnt ist man von der makellosen Lebensweise in Deutschland, bei der eine kalte Dusche undenkbar waere oder zumindest fuer eine Morddrohung beim Klempner sorgen wuerde. Aber reisen bedeutet unterwegs sein und das wirklich wichtige hier in Neuseeland ist lediglich eine dicke Schicht Sonnencreme und ein volles Nutellaglas beim Fruehstueck....  Alles andere muss man einfach zulassen. Auch das Freisein. Ohne sich zum Sklaven von neu gesuchten Verpflichtungen zu machen.  

                          

This is a Bee Am Double U, isn't it?" Die stahlblauen Augen des baertigen Typen an der Tankstelle bohren sich foermlich in den Boxermotor. Der braungebrannte Oberkoerper lehnt laessig an der Zapfsaele, waehrend seine kraeftige Hand anerkennend ueber die Sitzbank streicht. Ausgiebig erzaehlt er uns von seiner alten BMW, die zu Hause in der Garage steht und darauf wartet, durch die kurvige Huegellandschaft gelenkt zu werden. Der weissgraue Pferdeschwanz faellt ihm straehnig ueber die taetowierte Schulter. Er zwinkert mir zu, hebt locker die Hand. "Take it easy, guys..." Recht hat er!

 

 

Froestelnd stehen wir unter dem schuetzenden Vordach des Toilettenhaeuschens am Cape Reinga. Der noerdlichste Punkt Neuseelands wirkt momentan nicht gerade einladend. Zu dem orkanartigen Wind gesellt sich heftiger Regen und um uns herum rettet sich alles in die bereit stehenden Fahrzeuge und Reisebusse. "Wenn Ihr wollt, koennt Ihr auf einen Kaffee zu uns hereinkommen." Die hochgewachsene blonde Frau nickt zur Bekraeftigung in Richtung des weissen Campers. Ach, wie nett... Eine Einladung, zu der wir uns nicht zweimal bitten lassen. Die Tuer des Reisemobils wird von innen geoeffnet und mir stroemt angenehme Waerme entgegen. "Hey, ich bin Klaus." Ein Laecheln wie aus der Zahnpastawerbung. Und zwar fuer Muenchener Zahnpasta. Meiner selbst geschulten Dialekterkennung bleibt nichts verborgen.  Gabi und Klaus sind Ur-Muenchner, die seit fast 20 Jahren in Los Angeles leben. Ihr taegliches Brot verdienen sie mit einer Reisemobil-Vermietung. "Ja, nun sind wir endlich mal auf der anderen Seite, dass wir uns ein Wohnmobil ausleihen..." Eine Messe in Sydney hat die beiden ans andere Ende der Welt verschlagen. Hier gilt es, Kontakte zu knuepfen und Werbung fuer die eigene Firma zu betreiben.  Wir trinken Unmengen Kaffee, schwatzen, lachen und geniessen die nette Gesellschaft.

Laengst hat sich das Unwetter verzogen und es ist an der Zeit, das noerdlichste Ende der Welt zumindest bis zum Abgrund der Klippen zu Fuss zu erkunden. Laut Maori der Ort, wo die Seelen der Toten entschwinden. Die Reise der Seelen beginnt mit einem Rutsch an den Wurzeln eines 800 Jahre alten Pohutukawa-Baumes hinunter in den Ozean. Danach tauchen sie wieder auf und erklimmen Ohaua, die hoechste der Tree Kings Islands, um ein letztes Mal lebewohl zu sagen, bevor sie zu ihren Vorfahren nach Hawaiki zurueckkehren. Die Seelen erreichen Cape Reinga entlang des an der Westkueste der Halbinsel verlau fende Ninety Miles Beach, der tatsaechlich nur etwa 64 Milen (103 km) lang ist.

                                 

Lediglich bei Ebbe ist es moeglich, die Ueberfahrt zu starten. Wir haben die Flut seit zwei Stunden hinter uns gelassen und wagen die Passage. Eine 3-4 km lange, sandige Flussdurchfahrt bei Te Pak ist notwendig, um den Strand zu erreichen. Vorsichtshalber kontrollieren wir kurz die Halterungen der Kisten. Im weichen Sand ist es schwierig, die Mopeds auf den Hauptstaendern aufzubocken. Das Anziehen der Befestigungsschrauben an den Halterungen der Alukisten wird von einem heftigen Windstoss unterbrochen, gefolgt von knirschendem Scheppern. Da liegen sie, die beiden BMW's, hilflos wie Maikaefer auf der Seite im Sand. Leider ist gerade keine Kamera griffbereit...

 Der Ninety-Miles-Beach ist ein Traum. Die Spuren der TKC80-Reifen ziehen sich endlos durch den Sand. Muster, die sich durch das Spiel der Wellen gebildet haben, umspielen die langgezogenen Schatten unserer Motorraeder. Ueber unzaehlige Kilometer begleitet uns ein Kormoran in monotonem Tempo. Aufgewirbelt durch den Wind tanzen weisse Schaumkronen wie Schneeflocken ueber den Sand. Meter fuer Meter zieht sich das Wasser zurueck, eroeffnet einen immer breiter werdenden Strand fuer uns, hinterlaesst nichts als die weissen Raender des aufgeschaeumten Wassers. Wir treffen auf einem von Treibsand umspielten Rosthaufen, der zu besseren Zeiten einmal einen Pickup darstellte. Ein stummer Zeuge einer grossen Dummheit. Das Meer hat seine eigenen Gesetze...

 

 25.11.2003 Waipoua Forest

"No fatal crashes this month in"... das grosse gelbe Schild mit dem laechelnden Smilie am Strassenrand ist nicht zu uebersehen. Eine nette Art der Neuseelaender zu zeigen, dass dieser Monat bislang ohne Unfaelle abgelaufen ist.  Elegant schlaengelt sich die Strasse durch die huegelige Landschaft. Wir fahren Richtung Norden. Die Sonne als staendigen Begleiter vor uns. Hoert sich komisch an, aber hier am anderen Ende der Welt nimmt die Sonne ihren Weg ueber den Norden, steht hier am hoechsten und taucht im Sueden nie auf. Auch der Mond nimmt anders herum zu und ab. Der naechtliche Sternenhimmel muss ohne den hellen Nordstern auskommen. Statt dessen erstrahlt das Kreuz des Suedens (southern cross).  

Weidelandschaft  loest das Bild des Urwaldes ab. In einer 45-Grad-Lage versuchen mein Motorrad und ich uns gegen die Westwinde durchzusetzen. Eine fatale Folge durch die hemmungslose Ausrottung der schuetzenden Waelder. Patagonien am anderen Ende der Welt. Schlimmer kann der beruechtigte Wind in Argentinien auch nicht sein. Lediglich eine Flaeche von 100 qkm wurde im vergangenen Jahrhundert vor der Abrodung durch die Europaer geschuetzt und zum Nationalpark erklaert. In dem Waipoua Kauri Forest an der Westkueste wachsen die Kauri-Baumriesen in den Himmel. Darunter auch der Tane Mahuta, der von den Maori verehrte "Herrscher des Waldes". Mit 51 Metern Hoehe und 14 Metern Umfang weist er ein stattliches Alter von 1200 Jahren vor.

           Waipoua Kauri Forest

Kurz vor Dunkelheit erreichen wir den Campingplatz des Kauri-Nationalparks, als kreischend ein braungebranntes Paerchen auf uns zustuermt. "Nein, das gibt`s doch nicht, Bremer Kennzeichen..." koennen wir aus dem Stimmengewirr in vertrauter deutscher Sprache heraushoeren. Sie schnattern gleichzeitig. Wir sortieren die einzelnen Worte und erfahren, dass Uwe Lehrer an der Gottfried-Menken-Schule in Bremen ist und Katharina freiberuflich selbstaendig taetig. Mit den beiden freunden wir uns schnell an und durchwandern am naechsten Tag auf einem schmalen Trampelpfad den Urwald.

 

Ein sattes, frisch-gruenes Pflanzendach liegt ueber uns. Mir kommt immer wieder der Mr. Survival Ruediger Nehberg in den Sinn und ich versuche mir vorzustellen, hier zwischen den Baeumen, Straeuchern und Tieren eine Nacht zu verbringen. Schon jetzt wirkt der kaum zu durchblickende Wald unbezwingbar, undurchlaessig, ja fast ein wenig unheimlich. Fremdartige Geraeusche verstaerken den Eindruck. Und hier freiwillig fuer drei Monate hausen nur mit Ueberlebensguertel? Da ziehe ich doch lieber unser Zelt vor.  

Weihnachten naht und auch der Neuseelaendische Weihnachtsbaum beginnt langsam zu bluehen. Der Pahutakawa, New Zealand`s Christmas Tree, wurde zum Nationalbaum ernannt und bedankt sich seinerseits mit einer roten bluehenden Bluetenpracht. Hier auf Aotearoa, im Land der langen weissen Wolke (Maori-Name fuer Neuseeland) fehlt es an nichts. Lediglich Marzipankartoffeln haben wir noch nicht gefunden. Allerdings faellt es hier am Ende der Welt leicht zu leben und leben zu lassen. Schrullige Typen werden verstaendnisvoll "Characters" genannt. Und seid Euch sicher, davon gibt es hier einige...

 

 25.11.2003 Auckland/Piha/Waitakere-Nationalpark

"Klar koennen wir uns treffen, von mir aus in einer Stunde, ich muss nur noch zu Abend essen...". Freya Eichhorst am anderen Ende der Telefonleitung ist einer der spontansten Menschen, die ich jemals kennengelernt habe. Mit ihr zusammen ging Ingo vor 26 Jahren zur Bremer Realschule, hat sie seitdem nicht mehr gesehen. Ein Glueck, dass sie sich an seinen Namen erinnern kann. Um Punkt  20 Uhr sitzen wir im "Hardware-Cafe" in der Naehe von Huia an der Westkueste. Das Treffen ist  genial, man scheint sich schon ewig zu kennen und eine Zeit zwischen Frueher und Jetzt gibt es nicht. Als sie 26 Jahre alt war, ging Freya aus Bremen weg, gerade als der Tschernobyl-Vorfall sich ereignete. Mit der damaligen Gesetzgebung und Politik  konnte sie sich nicht anfreunden und machte sich auf, eine neue Heimat zu finden.  In Indien, im Oman und in Australien suchte sie ihr Glueck und fand es erst vor sieben Jahren in Neuseeland.  "Hier in Neuseeland kommt mir eine Minute vor wie anderthalb..." Ihre Augen haben einen sehnsuechtigen Glanz. Unsere auch, als wir das indische Lammcurry serviert bekommen.  

Wenn man von Auckland eine Querverbindung zur Westkueste zieht, stoesst man auf den Ort Piha. Hier befindet sich der Waitakerek-Nationalpark. Fast alle Namen von Nationalparks, Kuesten und Orten sind in der alten Maori-Sprache angegeben. Fuer uns denkbar ungewoehnlich, so scheinen sich die Vokale ohne Unterbrechnung aneinander zu reihen. Dieses urwaldaehnliche Waldgebiet bietet eine unwahrscheinliche Auswahl an Gruen-Nuancen. Ueberhaupt wirkt die gesamte Vegetation auf uns fremdartig. Palmen, Farn und Schlingpflanzen wachsen hier in einem wuesten Durcheinander.

       Kitekite Fall

Wir haben bereits plattgesessene Po`s und entschliessen uns zu einer Wanderung zu den Kitekite-Wasserfaellen. Die Nachmittagssonne leuchtet wunderschoen das herabtosende Wasser an und spiegelt sich in dem klaren Becken davor. "Haste Bock auf Schwimmen?" Nach sieben Jahren  weiss ich, welche Fragen ich besser nicht mit "ja" beantworte und ueberhoere sie einfach grinsend. Naja, es ist Ingo, der beginnt, T-Shirt und Jeans auszuziehen. Ist schon klar, dass hier ein Foto sein muss ist. Frueher waere ich in das a....kalte Wasser gestiegen, haette meine Gesichtsmuskeln zu einem Laecheln ueberredet. Zaehneklappernd watet Ingo ins Wasser. Soll ja auch abhaerten, so ein kuehles Bad. Und bestimmt wird es ein nettes Foto fuer die Diashow. Sofern ich die Abdeckung vor der Linse entfernt habe...

 

22. November 2003 Auckland

Zahlreiche Haende schuetteln wir,  in unzaehligen Armen drueckt man uns. Viel Glueck, gute Reise, machts gut, fahrt vorsichtig... Ein bisschen depremierend empfinde ich den Abschied aus Bremen. Aber vielleicht  liegt es an dem einheitlichen grau, den der Bremer Osten mir als Blick ueber die Weserbruecke freigibt. Mein letzter Arbeitstag in der Contrescarpe.  36 Stufen hinauf ins Buero. Eine Ewigkeit. Aber auch dieser letzte Tag geht vorueber und hinter uns liegen nun 20.000 Flugkilometer von Bremen nach Auckland.

 

Die Spedition, bei der unsere Mopeds ankommen sollen, ist schnell gefunden. Und da stehen sie... genau wie wir sie vor einer Woche hinterlassen haben. Unsere Bedenken, eine gewaltsam geoeffnete Kiste vorzufinden, bestaetigt sich nicht. Feinsaeuberlich wurde Schraube fuer Schraube von der Quarantaeneinspektion aufgedreht. Ohne Beanstandungen bekommen wir die Motorraeder ausgehaendigt. Haette mich auch gewundert, haben wir doch einen gesamten Sonntagnachmittag mit Putzen der Maschinen verbracht.  

 

In 90 Minuten ist alles wieder zusammen gebaut, das Gepaeck festgezurrt. Ohne Mucken springen sie auch sofort an. Die Mitarbeiter der Spedition wuenschen uns winkend "a nice time" und schon befinden wir uns mitten drin im Linksverkehr. Konzentrieren ist angesagt, traeumen kommt spaeter. Wie damals in Irland mit Sandra: "immer links...". Nur dass Sandra nicht neben mir sitzt und mir diese Worte vorbetet. Vielmehr spreche ich mit langsamer und ruhiger Stimme selbst auf mich ein. Klappt auch gut. Die Neuseelaender sind keine Heizer... Die Temperaturen liegen bei angenehmen 23 Grad. Die Gier nach Abenteuer verschlingt den Jetlag. Die 12 Stunden Zeitverschiebung machen lediglich Ingo zu schaffen, der am Montag Nachmittag in einen Tiefschlaf verfaellt.

Der neuseelaendische Morgen weckt uns mit Vogelgezwitscher und Meeresrauschen. Ach ja, nicht zu vergessen das Entengeschnatter. Zwischen uns liegt dicke Luft. Die Enten wollen alles von unseren Vorraeten,  wir geben nichts. Noch ist keine Zeit um den Urlaub zu beginnen. Sowohl die Registrierung als auch die Versicherung der Mopeds sind notwendig. Hierfuer ist eine Menge Paperwork angesagt. Aber was tut man nicht alles, um eine Plakette an jedem Moped kleben zu haben. Ach, wir tun doch noch mehr. Sind wir doch mittlerweile um 600 Euro aermer....-für die Aufkleber-. Muss ja alles seine Ordnung haben. Gegenueber Deutschland haben trotz allem einen Vorteil. Das Benzin ist hier um die Haelfte billiger.  

 

5. November 2003 Bremen: Stress lass nach

Probepacken. Die BMW´s kuscheln auf einer Holzpalette aneinander. Die Vorderradgabeln bohren sich in die Spanplatte. Für den langen Weg von Hamburg nach Auckland/Neuseeland werden die Vorderräder ausgebaut und die Windschilder abgeschraubt. Die Packmaße sind auf ein Minimum reduziert. Mit dem Eigenbau sparen wir uns 3.000,-- Euro Transportkosten. Allerdings kommen gratis 100 graue Haare dazu, zumindest bei Ingo. Ohne große Erfahrung hat er in den letzten Tage gesägt und gehämmert, geschraubt und geleimt. Hoffentlich hält alles...

Vor uns liegen fast fünf Monate Neuseeland und Australien. Ingos Job ruht bis April 2004.  Meiner ist gekündigt, allerdings muß ich noch bis zum letzten Tag „zur Maloche“. Meine Kolleginnen kochen schon gedanklich mit mir am Lagerfeuer vor dem Zelt. Täglich bekomme ich gute Ratschläge,  wie man sich am besten gegen Krokodile zur Wehr setzt und mit Aborigines fachsimpelt.

Der Schwerpunkt unserer Reise soll Neuseeland werden. Wir wollen herausfinden, ob die Heimat der Maoris und Kiwis einer zivilisierten Wildnis oder einer wilden Zivilisation gleicht.

Zahlreiche Papiere sind notwendig, einen längeren Aufenthalt mit eigenen Fahrzeugen genehmigt zu bekommen. Zoll- und Frachtpapiere für die Motorräder, internationale Fahrzeugpapiere, internationale Führerscheine, Langzeit-Auslandskrankenversicherungen und vieles mehr.

Langsam kehrt Ruhe ein. In zwei Tagen fährt Ingo die Motorräder samt Transportkiste nach Hamburg zur Verfrachtung. Der erste Teil ist dann getan.

Noch warten zahlreiche Umzugskartons darauf, mit „Stuff“ aus unserer Wohnung gefüllt zu werden. Die Abschiedsparty mit unseren Freunden wird wohl ohne viele Sitzgelegenheiten stattfinden. Und da ist es, das weinende Auge. Gehört wahrscheinlich zum lachenden dazu wie das Eigelb zum Ei. Abschiednehmen heißt, die Freunde zurückzulassen , ebenso die liebgewonnenen Gewohnheiten, die Sportgruppe, die Bierkneipe um die Ecke... Wo sollen wir „in the middle of nowhere“ bitte die Marzipankartoffeln herbekommen und „last christmas I gave you my heart“ von George Michael hören? Aber die Zeit wartet auf niemanden. Irgendeinen Grund würde man immer finden, eine Reise nicht anzutreten.

Und wie die nachfolgenden Reisegesellen wollen wir auch nicht enden...

Die Ameisen von Joachim Ringelnatz

In Hamburg lebten zwei Ameisen,

die wollten nach Australien reisen.

Bei Altona auf der Chaussee

da taten ihnen die Beine weh.

Und da verzichteten sie weise

denn auf den letzten Teil der Reise.

So will man oft und kann doch nicht

und leistet dann recht gern Verzicht.

  

 

 

 

 

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