Über die Türkei nach Syrien, Jordanien und Israel |
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Die Einträge gliedern sich von unten nach oben. Das aktuellste Erlebnis folgt gleich hier im Anschluß: 31.12.2007, Athen, heiter 15°C Nun stehen wir am Hafen von Piräus und blicken verträumt in den Horizont, den wir endgültig hinter uns gelassen haben. Trotz der erneut aufkommenden Sehnsucht sind wir uns einig. Hier endet das Abenteuer „Middle East“. Wir lassen die durchreisten Länder Revue passieren. Mit einem Lächeln denke ich an den „Augenöffner“ Türkei, dessen Bewohner uns mit Herzlichkeit und Gastfreundschaft überschwemmten. Ich erinnere mich an die wohlgemeinten Ratschläge von Freunden, die uns über Syrien und Jordanien warnten. Krieg, Entführung und Diebstahl wurden uns prophezeit. Die Angst, in „diese“ Länder einzureisen, war zu dieser Zeit bereits in mir aufgestiegen, ohne dass ich eingreifen konnte. Ich fühlte sie sich im Inneren ausbreiten. Doch sobald wir die Grenze zu Syrien passiert hatten, verpuffte sie. Die Lebendigkeit der Städt mit orientalischer Musik und fremden Gerüchen erstreckt sich über das ganze Land. Mit seinen Frauen die so schön sind, dass es weh tut, zählt Syrien ohne Frage zu meinem Favorit auf dieser Reise. Warnhinweise sind manchmal wie der Wetterbericht. Man glaubt sie oder man glaubt sie nicht. „Reisen bildet“ sagt ein Sprichwort und wir heften die Erfahrungen der letzten sieben Wochen unter dieser Kategorie ab. Trotz allem freuen wir uns ungemein, auf „europäischem Boden“ zu sein mit allem was dazu gehört. Den Euro als vertraute Währung, freies Fahren ohne Grenzübergänge und Salat zu genießen, ohne die Tomaten vorher enthäuten zu müssen. Und obwohl wir noch immer kein griechisch sprechen hört sich hier alles vertrauter und heimatlicher an. Die Tage bis Silvester verbringen wir in Athen um dann in der Silvesternacht um genau 23.59 Uhr auf die Fähre zu steigen, die uns nach Venedig bringt. Wir ergattern eine kleine Flasche Piccolo mit der Aufschrift „brut“, die wir zur Kühlung außen an unsere Packrolle schnüren. Gut temperiert durch den Fahrtwind erheben wir mit Ablegen des Schiffes unsere Alubecher mit dem prickelnden Nass in den sternenklaren Nachthimmel. Ein „Danke“ gilt unseren Schutzengeln für eine eindrucksvolle und unfallfreie Motorradreise über 6.000 Kilometer. Wir wünschen uns, unserer Familie und allen unseren Freunden ein gesundes und erfolgreiches Jahr 2008!
28.12.2007, Auf dem Frachter "Notos" auf dem Weg nach Athen, Sonne 19°C
Nur wenige Meter hinter uns liegt die Männerwelt Jordaniens, dessen Grenze wir soeben überquert haben. Nach sechs Wochen Machogehabe und Männerdominanz bin ich begeistert von der weiblichen Präsenz auf israelischer Seite. Die Femininität täuscht und knallharte Fragen prallen in der Luft aufeinander. „Wie lange wollte Ihr bleiben?“ „Wie lange ward Ihr in Syrien?“ „Warum Israel?“ „Habt Ihr Kontakte zu einer Person in Israel?“ „Was ist in Euren Alukisten?“ Ob es daran liegt, dass wir durch Syrien gereist sind oder nicht ganz genau die Anzahl der mitgeführten Unterhosen bestimmen können, haben wir bis heute nicht herausgefunden. Fakt ist, dass wir sämtliches Gepäck entladen müssen und in eine flughafenähnliche Halle geführt werden, in der Tüten, Kisten und Packrollen durchleuchtet werden. Wir selbst werden auch durchleuchtet, bevor wir unsere Motorräder in eine Garage bringen müssen, in der sie ohne unser Beisein von Verantwortlichen gecheckt werden. Ich bin stinksauer und kann meinen Unmut nur schwer verstecken. Während Ingo bereits in der Sonne wartet, werde ich noch mit einem Frage-Antwort-Spiel gepiesackt. „Waren Sie jemals vorher in Israel?“ Nein! „Wo wohnten Sie in Syrien?“ In Hotels! „Haben Sie dort irgend etwas gekauft?“ Mandarinen! „Wie ist der Name Ihres Vaters?“ Klaus! „Wie ist der Name Ihres Großvaters?“ Ich zucke zusammen. Welcher Großvater? „Väterlicherseits!“ Oh, Mann, wie hieß denn mein Opa. Ich habe keine Ahnung! In russischer Gefangenschaft gestorben habe ich ihn nie kennengelernt. Meine Oma hat damals neu geheiratet und der Name des zweiten Mannes ist mir gut im Gedächtnis geblieben. Aber der richtige Vater meines Vaters. „Keine Ahnung“, antworte ich der Grenzschnecke. Skeptische Augen durchbohren mich. „Ihre Oma muss den Namen doch mal erwähnt haben!“ Mist, Mist, Mist, wie hieß nur mein Opa? Erich? Günter? Kurt? Heinrich? Schweiß drückt sich durch meine Poren. Doch sosehr ich auch nachdenke, er fällt mir nicht ein. Oma dreht sich wahrscheinlich gerade in ihrem Grabe um, doch ich kann nicht helfen. „No idea!“ antworte ich ehrlich und in meiner Phantasie höre ich bereits die Handschellen klicken und sehe mich in einem dunklen Kerker sitzen, das trockene Stück Brot mit den quiekenden Ratten teilend. Stattdessen höre ich die lächelnde Grenzbeamtin sagen: „Ist ja auch nicht so wichtig, wir sind sowieso fertig…“ Nach ziemlich genau drei Stunden und zehn Minuten dürfen wir einreisen nach Eretz Israel – das Heilige Land!
Mit Syrien besteht weiterhin ein ungelöster Konflikt, der hauptsächlich den Golan betrifft. Auch die antisemitistische Hisbollah im Süden Libanons macht dem kleinen Land Israel, das vom Norden bis zum Süden lediglich 470 km misst, schwer zu schaffen. Rund 75 % der israelischen Bevölkerung sind jüdischen Ursprungs. Von der Mehrheit der Israelis wird heute hebräisch gesprochen. Daneben ist arabisch die Muttersprache von etwa einer Million arabischer und drusischer Staatsbürger Israels.
Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir das „Tor zu Jerusalem“. Jerusalem ist eine der ältesten Städte der Welt. In dieser Stadt ist das Verhältnis zwischen ihrer multikulturellen und multiethnischen Bevölkerung besonders sichtbar. Die Altstadt ist von einer Mauer umgeben und in vier Gebiete unterteilt: das jüdische, christliche, armenische und muslimische Viertel. Der Tempelberg in Ost-Jerusalem beherbergt bedeutende Heiligtümer der drei großen Weltreligionen.
Nun sind wir auf den Weg in die Berge im nördlichen Teil des Landes um uns mit Ronen und Efi von der israelischen Horizons Unlimited Community zu treffen. Zusammen mit den Freunden Shay, Michal und Alon verbringen wir einen wunderschönen Abend am See Genezareth direkt unterhalb der Golanhöhlen. Der See hat eine Fläche von 165 qkm. Im Süden des Sees fließt der Fluss Jordan ab und endet schließlich im Toten Meer. Das extrem salzhaltige und abflusslose Meer haben wir bereits in Jordanien besucht. Das „verstorbene Meer“, wie wir es getauft haben, ist der tiefste Punkt der Erdoberfläche und liegt 418 Meter unter dem Meeresspiegel. Ich als ehemalige Leistungsschwimmerin fand es faszinierend, mein Hinterteil beim Schwimmen einfach nicht unter Wasser zu bekommen. Wie zwei prallgefüllte Luftballone ragten meine beiden Pobacken aus dem Wasser und ich kam mir vor wie eine Ente beim Wasserballett. „Quak, quak, Schwänzchen in die Höh‘!“ Shay überzeugt eindrucksvoll mit seinen Kochkünsten. Er bereitet für uns „Poyke“ zu, eine Art Eintopf mit Rind- und Lammfleisch, Gemüse, Linsen und Kartoffeln, der für zwei Stunden über einem Lagerfeuer vor sich hin blubbert. Der kristallene Mondschein am sternenklaren Himmel spiegelt sich in den sanften Wellen, die der See an den Kiesstrand schickt. Mit Makabee Bier und Pistazien lauschen wir gespannt den Erzählungen über das Leben in Israel. Über die Bombenangriffe aus dem Libanon vergangenen Jahres und die Kunst, zwischen all der Ungewissheit und politischen Verhandlungen ein ganz normales Leben zu führen.
Sämtliche Hinweisschilder sind in Hebräisch verfasst und es kostet uns eine längere Irrfahrt, die Unterkunft zu finden. Kurz die Kisten vom Moped geschraubt hetzt Ingo auch schon wieder los um sich um das Weihnachtsfestmahl zu kümmern. Schließlich ist heute Heiligabend und wer Ingos jährliche Gewohnheiten kennt, weiß, dass heute Puter auf dem Speiseplan steht. Ich grinse mir insgeheim einen, denn ich bin mir absolut sicher, dass Ingo KEINEN Puter finden wird. Zumindest keinen fertig gebratenen. Nach ca. 1 Stunde höre ich die Zimmertür klappen und Ingo fegt strahlend in den Raum. „Unser diesjähriger Puter heißt Lilly!“ eröffnet er mir gutgelaunt. „Lilly? Das hört sich für mich aber recht niedlich an!“ Ja, niedlich ist er auch, bekomme ich bestätigt. Würdevoll schwingt Ingo die Plastikverpackung auf den Tisch. Der Geruch von gebratenem Geflügel erfüllt die Zimmerluft und ich frage mich insgeheim wie das möglich ist. Ich sehe mir den Braten genauer an und werde das Gefühl nicht los, dass es sich hier eher um ein Hähnchen handelt als um einen Puter. „Sach mal, das ist doch gar kein Puter!“ wage ich Ingos Mitbringsel zu kritisieren. „Warum?“ höre ich die Frage eines unschuldig dreinblickenden Blondschopfes. „Natürlich ist Lilly ein Puter und wenn Du mir nicht glaubst kannst Du ja die Verpackungsaufschrift lesen!“ Gesagtes tue ich auch. Die Beschreibung des gebratenen Tieres ist in reinem Hebräisch auf die Plastikverpackung gedruckt und ich kann sie drehen und wenden wie ich will, ich finde keine englische Inhaltsangabe. Ingo grinst. „Siehst Du, habe ich Dir doch gesagt, es ist ein Puter!“ Direkt nach Weihnachten begeben wir uns auf das Frachtschiff, das uns von Haifa im Nord-Israel zurück nach Europa, genauer gesagt nach Piräus in Griechenland bringen soll. Man darf sich die Fähre nicht als Personenfähre vorstellen.
Wir sind die einzigen „zahlenden“ Passagiere an Bord. Mit Vollverpflegung und sehr deftiger Hausmannskost. Schon zum Frühstück gibt es halb durchgebratene Spiegeleier und Wiener Würstchen aus der Dose. Ich sehne mich nach meinem Obstteller mit Joghurt und zwinge mich, zumindest das Weiße vom Ei zu essen. Das Mittag- und Abendessen ist geschmacklich gar nicht schlecht, nur eben seeeehr deftig. Fette Brocken von Rindfleisch schwimmen in einem Kartoffeleintopf, in dem ich außer Kartoffeln noch Kartoffeln und Kartoffeln finden kann. Ach halt, ich habe die drei Ministücke Karotten übersehen. Müssen sich wohl hinter dem Koloss von Rindfleischschenkel versteckt haben. Aber wir freuen uns, auf diesem Dampfer zu sein, da es für uns die bequemste Rückkehr nach Europa ist. Und eine „Extrawurst“ gebraten zu bekommen, würde uns nun auch nicht gefallen! Unser Zimmer nennt sich Suite. Für ein Frachtschiff ist diese Bezeichnung sicherlich gerechtfertigt. Ein dunkelgrüner Teppich schmückt die ca. 20qm große Kabine. Eine Holzwand und ein dunkelbrauner Vorhang trennt die Mahagoni Ledercouch von den Betten. Wir haben sogar vier Fenster, wovon sich zwei öffnen lassen. Durch genau 1,8 Zentimeter kann ein bisschen frische Meeresluft strömen. Bedingt durch die Erosion sind die Scharniere eingerostet und würden wir Gewalt anwenden, dann hätten wir ein Fenster, das sich nicht mehr schließen ließe. Das Badezimmer ist besonders. Hat sozusagen eine Dusche und eine Badewanne. Die Badewanne lässt sich immer dann benutzen, wenn man gerade geduscht hat. Dann steht nämlich steht das Wasser über mehrere Zentimeter in dem kleinen Raum und wer möchte, kann sich nun einfach auf den Boden setzten und ein bisschen Badezusatz in das Duschwasser geben, das ca. 50 Minuten benötigt, um durch den verstopften Bodenabfluss zu fließen. Nun sitze ich also mit unserer eisernen Notration an Mandarinen in der Suite und hadere mit mir. Wann mag der Zeitpunkt kommen, an dem mein Verlangen nach Vitaminen am größten sein wird? Vielleicht sollte ich einfach zu Makla in die Küche gehen und ihm ein paar Tipps zu einer gesunden und ballaststoffreichen Ernährung geben. Not quite sure yet…. 18.12.2007, Petra in Jordanien, Sonne 18°C „Der Mensch kann nur ein Paradies haben und meines ist im Himmel“ soll der Prophet Muhammad beim Anblick von Damaskus gesagt haben. Nicht nur für den Propheten glich diese Stadt dem Paradies. Lange Zeit trug sie den Beinamen „Djannat al-Ard“, das Paradies auf Erden.
Wir schlendern durch die Suqs in der Altstadt und besichtigen die Umayyaden-Moschee, die von Frauen nur mit Verschleierung betreten werden darf. Für ein geringes Entgelt bekomme ich ein mantelartiges Gewand mit Kapuze verpasst und darf so das Gotteshaus betreten. Früh am nächsten Morgen steht für uns die Überquerung der Grenze nach Jordanien an. „Du könntest endlich aufhören, Dich wie ein Buddha zu benehmen der lächeln auf mich herabschaut!“ fauche ich Ingo an. „Wenn ICH schon mal etwas gefragt werde, dann möchte ICH auch selbst antworten!“ So langsam nimmt er die arabischen Manieren der Männer an, denke ich wütend. Ingo zerrt mich an meiner Motorradjacke zur Seite und weist mich zum Schweigen an. Seit zwei Stunden stehen wir an dem jordanischen Grenzübergang und es hat während der gesamten Zeit weder jemand mit mir gesprochen, noch mich angesehen. Der Anstand verbietet es dem Araber, eine fremde Frau anzusprechen. Ingo wird dagegen mit Handschlag begrüßt, nach unseren Reiseplänen gefragt und zum Kaffee eingeladen. Jetzt endlich stellt mir einer der Grenzbeamten eine Frage über den Inhalt meiner Alukisten, als Ingo sich in seiner vollen Größe zwischen mich und den Grenzbeamten platziert und mir mit seinen breiten Schultern die Sicht versperrt. Wütend hole ich aus um meinem Ärger Luft zu machen, doch eingeklemmt zwischen Ingos Rückenprotektor und der Gebäudewand bin ich sozusagen aus dem Sichtfeld der Männerwelt entschwunden. Ingo kennt mich lange genug um zu wissen, dass ich die Frage nach elektronischen Geräten viel zu ehrlich beantwortet und unser mitgeführtes Laptop ohne Zögern erwähnt hätte. Nach arabischen Sitten halte ich mich nun im Schatten bedeckt während Ingo dagegen mal wieder nicht genug englisch versteht um zu begreifen, was mit „elektronischen Geräten“ gemeint ist. Stirnrunzelnd schüttelt er den Kopf. Eine Kamera hätten wir bei uns, oder was genau meinen Sie, Herr Zöllner? fragt er in gebrochenem Englisch. Allein vom Zuhören bekomme ich einen roten Kopf. Und ob diese Worte aus dem Munde eines Elektroingenieurs der vier Jahre in London gelebt hat nun legal oder illegal sind, das ist Ansichtssache.
Die bestechende Landschaft überzeugt uns, doch erwartet uns in den kleinen Bergdörfern eine eher eigenartige Stimmung. Ablehnung und Feindseligkeit spüren wir von allen Seiten, als wir mit unseren Mopeds durch die engen Straßen rollen. Jungs werfen mit Steinen nach uns, ein alter Mann droht mit seinem Gehstock und mehrere junge Männer springen Fäuste schwenkend vor unseren Motorrädern auf die Straße. Mir läuft ein Schauer über den Rücken und ich schließe vorsichtshalber mein Visier. Woher stammt diese Aggressivität? Wir sollen die Antwort in Kürze erfahren. Doch erst stellt sich mal wieder meine F650 ins Rampenlicht. Die Elektrik macht zum zweiten Mal auf dieser Reise Mucken und am Ende unseres heutigen Etappenziels weigert sich der rote Dickkopf wieder anzuspringen.
Glücklicherweise stehen wir am Eingang eines guten Mittelklassehotels und ich schicke ein Dankesgebet in den Himmel dass mein Motorrad in keinem der uneinladenden Bergdörfchen den Geist aufgegeben hat. Ahmed, der Hotelmanager hat weise Worte für uns parat: „Nehmt doch erstmal einen Kaffee, und dann sehen wir uns das Motorrad an. Ihr könnt auf meine Hilfe zählen!“ Ahmed ist auch derjenige, der uns über das eigenartige Verhalten der Bewohner aufklärt. In den 90er Jahren wurde ein Attentat auf einen israelischen Minister verübt, der zu Gast im jordanischen Land war. Unglücklicherweise starb der Minister an den Folgen des Attentats während der Attentäter unerkannt auf seinem Motorrad flüchten konnte. Seither sind sämtliche motorisierten Zweiräder des Landes verbannt. Erst vor einigen Jahren wurde dieses Verbot wieder aufgehoben. In den Köpfen der vielen palästinensischen Bewohnern Jordaniens ändert sich die Denkweise allerdings nur zögerlich und Motorräder stellen in ihren Augen noch immer eine Bedrohung dar.
12.12.2007, Palmyra in der syrischen Wüste, Sonne 23°C
An Asphalt gespart sind die Serpentinen so spitz, dass ich nach der zweiten ernsthaft in Erwägung ziehe, mein Motorrad nach oben zu schieben. Angstschweiß schießt mir unter die Achseln und mehr als einmal muss ich mitten in der spitzen Steile anhalten um mit schweißnassen Händen gegen mein kippendes Motorrad zu kämpfen. Kurz bevor wir den Gipfel erreichen, klafft eine etwa zwei Meter breite und zwei Meter tiefe Lücke in der Straße die uns zum Umdrehen zwingt. Wer ist hier im Lande eigentlich für „Health and Safety“ verantwortlich? frage ich mich auf der erfolglosen Suche nach dem warnenden Hinweisschild. Ein vier Sterne Hotel mit wunderschöner Aussicht über die Bergkette entschädigt für die Strapazen der Anfahrt. Für das Wohlbefinden des Gastes wird alles getan, selbst das allabendliche Bier serviert. Das landestypische arabische Bier wird in braunen Halbliterflaschen serviert, die zu unserer Belustigung kein Etikett besitzen. Nun klärt sich auch die Frage, wie die Araber in der Öffentlichkeit Bier trinken, ohne dessen bezichtigt werden zu können. Alkohol ist zwar in Syrien nicht verboten, doch sollte sich ein gläubiger Muslim an die Erfüllung der fünf Gebote halten. Neben den „Pfeilern des Glaubens“ gilt es unter anderem auch, den Genuss von Alkohol abzulehnen. Nun befinden wir uns auf der 150 Kilometer langen Landstraße Richtung Osten, die uns in das legendäre „Palmyra“ bringen soll. Ein einst blühendes Königreich, das in den ersten drei Jahrhunderten nach Christi ein zentraler Schnittpunkt der Händler war. Karawanen zogen von Asien über die Seidenstraße bis zum Mittelmeer. Unter der Herrschaft der geschichtsträchtigen Königin Zenobia wurden große Mengen an Elfenbein, Duft- und Seidenstoffen transportiert. Heute erinnern nur noch die Ruinen der Stadt an die Zeugungskraft menschlicher Schöpfung. Bevor ich mich gedanklich der geschichtlichen Exkursion widmen kann, verspüre ich das dringende Bedürfnis, den Morgenkaffee loszuwerden. Die gut ausgebaute Straße von Homs nach Palmyra ist im anfänglichen Randbereich mit schmalen Reihen niedriger Nadelbäume bepflanzt. Einladend bilden sie eine blickdichte Abtrennung zwischen Straße und den Anfängen der kargen Wüstenlandschaft. Schnurstracks lenke ich mein Motorrad auf einen der Schotterwege, die geradewegs in das Dickicht führen. Der Druck ist mittlerweile reichlich stark… Der herumgedrehte Zündschlüssel lässt die Motorengeräusche verstummen und „schwupps“ verschwinde ich in das Gebüsch. Die Hose bereits aufgeknöpft hebe ich aus der Hockstellung meinen Kopf und blicke geradewegs in die Läufe zweier Maschinengewehre. Zwei schwarze Augenpaare funkeln mich an und die Besitzer jener ergießen einen Schwall arabischer Worte auf mich. Einer der beiden grinst, doch so höflich ich auch sein möchte, meine Lippen wollen sich einfach nicht zu einem freundlichen Lächeln verschieben. Aus dem Fremdklingenden höre ich etwas ähnliches wie „Militär“ heraus und Ingo fragt mich flüsternd, ob ich hinter den Bäumen das große Gebäude mit der syrischen Flagge sehen könne. „Militär?“ frage ich den freundlicheren der beiden. Aus meinem Kehlkopf dringt ein heiser klingender Laut, den ich krampfhaft versuche in ein weiteres Wort umzuwandeln. „Toilet“ erkläre ich und deute auf die Baumreihe hinter mir. Der Soldat grinst nun nicht mehr und schüttelt stattdessen mit erstem Gesicht den Kopf. „Dringend!“ lege ich ergänzend mein Anliegen dar. Die Läufe der Maschinengewehre nähern sich meinem Solar Plexus. Für den Bruchteil einer Sekunde überlege ich, ob ich die medizinische Notwendigkeit des Wasserlassens erklärend darlegen soll. Es ist nun wirklich ungesund, den Drang zum urinieren zurückzuhalten doch die Worte „Harnrückstau“ und "Nierenprobleme" bleiben mir im Halse stecken. Stattdessen eile ich im Laufschritt in Richtung geparktes Motorrad mit dem Hinweis: „Wir wollten sowieso gerade wieder fahren und sooo dringend muss ich nun auch wieder nicht, haha!“ Emotionslose Blicke zweier syrischer Soldaten folgen unseren Motorrädern bis diese in der Ferne verschwunden sind. Da sind mir doch die Kumpels der syrischen Straßenverkehrspolizei allemal sympathischer. Als wir an der Kreuzung einer großen Ausfallstraße spontan stoppen um nach dem Weg in die Wüstenstadt Palmyra zu fragen, schwingt sich der behelmte Verkehrsregler kurzerhand auf sein eigenes motorisiertes Zweirad und eskortiert uns geradewegs zur richtigen Abzweigung. Das rhythmische Hupen zur Verabschiedung lässt die Luft erzittern und der kleiner werdende Polizist verschwindet winkend in unseren Rückspiegeln.
10.12.2007, Syrien, Krak des Chevaliers, ca. 50 km vor Homs, Sonne und Regen 21°C
„Ich sein Fan von BMW“, antwortet er in gebrochenem Englisch und sein Gesicht gleicht dem eines kleinen Jungen vor einem Süßigkeitengeschäft. Er grinst bis über beide Ohren, und wenn er letztgenannte nicht hätte, würde er im Kreis lachen. Mit Händen und Füßen diskutiert er mit Ingo die technischen Details des bayerischen Motors und auf Knien begutachtet er das Reifenprofil des TKC 80. Die Einladung zum türkischen Tee lehnen wir bedauernd ab, schließlich wartet Syrien auf uns. Nur 45 Minuten später stehen wir vor dem türkisch-syrischen Grenzübergang als uns zwei Polizisten mit Maschinengewehren die Durchfahrt versperren. Mit spärlichen Worten fordern sie uns zum Umkehren auf, da die Grenze für den heutigen Tag geschlossen sei. Freundlich aber bestimmt informieren sie uns über die Ankunft eines Ministers, der den neuen Flughafen in Antakya einweihen soll. Für seine Ankunft und spätere Abreise würde der Grenzübergang für 24 Stunden gesperrt sein. Ingo argumentiert in ruhiger Stimme dass wir doch Touristen seien und ein Passieren für uns kein Problem sein sollte. Der Sherriff tritt näher an die BMW heran, klopft kräftig mit dem Zeigefinger auf Ingos Spiegel und fährt bestimmt mit der Hand durch die Luft. „Hayir-Nein!“ Es ist unmissverständlich dass eine Diskussion hier nicht erwünscht ist. Wir müssen umdrehen. Das Spielchen wiederholt sich am darauffolgenden Tage nochmals. Die Grenze ist noch immer dicht. Zwar beteuert uns der Polizist mit unterstützendem Kopfnicken dass die Öffnung der Grenze am heutigen Nachmittag erfolgen soll, doch wir trauen dem türkischen Versprechen nicht. Ingos Kommentar: „Und wenn der Herr Minister ein Schnüpfelchen hat, dann verzögert sich die Öffnung um weitere zwei Tage!“ Das flüstert er mir glücklicherweise nur zu. Wir entscheiden uns für den etwas weiter südlich gelegenen, etwa zwei Fahrstunden entfernten Übergang in Yayladagi. Die Einreise wird von äußerst gewissenhaften Beamten durchgeführt. Kennzeichen, Stempel, Visa, Ausweis. Die Kontrollen nehmen kein Ende. Auf syrischer Seite müssen wir etliche Gebühren bezahlen. Straßennutzungsgebühr, Fahrzeugversicherung und die tatsächliche Einfuhr der Fahrzeuge. In jedem Büro steht ein Bett bereit und wir fragen uns ob das mit der Arbeitsgeschwindigkeit der Beamten zu tun hat. Nach fast drei Stunden halten wir die Pässe mit den begehrten Stempeln in der Hand und sputen uns, vor Einbruch der Dunkelheit in die Hafenstadt Lattakia zu gelangen.
Syrien wie man es sich vorstellt. Orientalische Musik aus allen Ecken, würzige Gerüche und jede Menge junger Leute. Wir sind erstaunt wie offen und freizügig die Stadt ist. Kleine Läden verkaufen Alkohol und verschleierte Frauen gehören eher zur Ausnahme. Kaufen kann man hier alles. Von Zahnpasta über Weihnachtsmänner, von Seifen über Ziegenköpfe. Das Stadtbild versprüht ein wenig Internationalität und wir freuen uns über die Offenheit der Syrer. Dem Duft von gegrilltem Fleisch folgend sitzen wir am späten Abend im weiß gefliesten Inneren eines Straßenimbisses. Der nette Besitzer Ahmed bereitet uns zwei Schaschlikspieße über dem offenen Feuer zu, die mit kräftig gewürztem Krautsalat und Petersilie gereicht werden. Gegessen wird in Syrien grundsätzlich mit der rechten Hand, wobei dünnes Fladenbrot, sogenanntes „Khubz“, als Besteck dient. Wir orientieren uns kurzerhand an den Einheimischen am Nachbartisch und beginnen das Mahl „im Namen Gottes: Bi-smillah!“
06.12.2007, Silifke, Dauerregen 12°C Nach drei Stunden Motorradfahren in mehr oder weniger strömendem Regen haben wir am frühen Nachmittag die Nase voll und beenden unsere heutige Tagesetappe in dem türkischen Küstenort Silifke. Über dem ruhigen Provinzstädtchen thront eine mächtige Burg die von der Zeit zeugt, in der Männer noch Ritter sein durften. Das grüne Wasser des Flusses Göksu teilt Silifke in zwei Hälften. Parks und einladende Teegärten säumen den Flusslauf. „Room? Room?“ der Angestellte an der Hotelrezeption wedelt ganz aufgeregt mit dem Zimmerschlüssel durch die Luft. „Ja, ich suche ein Doppelzimmer“ antworte ich in Englisch. „Haben die Zimmer Heizung?“ frage ich in Richtung eines unverständlich dreinblickenden Gesichtes. „Heizung!“ sage ich diesmal etwas lauter und schlinge mir beide Arme um meinen Körper und klappere geräuschvoll mit meinen Zähnen aufeinander. „Ah, evet, evet, ja, ja, Heizung gibt es!“ bekomme ich in fließend Türkisch zur Antwort. „Und funktioniert die Dusche? Ist sie heiß?“ erneut tanze ich in hemmungslosem Einfallsreichtum vor der Rezeption auf der Stelle, die Finger über meinem Kopf hin- und her wackelnd. Mit der anderen Hand gestikuliere ich Kreisbewegungen unter meinen Achseln. Der Angestellte grinst. In der Tür des angrenzenden Büros stehen mittlerweile drei Kollegen, die sich köstlich über meine Scharade-Aufführung amüsieren. Zumindest klärt sich zügig die Frage nach der heißen Dusche. Nun noch die Preisverhandlung. Die Türkei ist ein Bazar, ob im Hotel oder auf dem Markt, Preise dürfen nicht ohne weiteres akzeptiert werden. Es bedarf nur weniger Worte um meinen Standpunkt klar darzustellen. „Preis?“ belle ich in Richtung Tresen und Herr Hotel malt 50 Türkische Lira auf seinen Schreibblock. Ich deute an, dass ich gerne seinen Kugelschreiber ausleihen möchte. Mit zwei dicken Strichen durchkreuze ich die 50 und male eine 30 darunter. „Oh, Allah“, ruft er mit gespieltem Entsetzen in die Luft und wirft mir einen flehenden Blick zu. Ich zucke nur mit den Schultern und schüttele meinen Kopf. Mittlerweile bin ich recht gut trainiert in Hotelpreisverhandlungen. Es ist klar dass wir uns mehr oder weniger in der Mitte treffen werden, obwohl ich mir sicher bin dass noch immer ein Touristenaufschlag auf dem endgültigen Zimmerpreis lastet. Wie hoch dieser ist, habe ich leider noch nicht herausfinden können. In den sogenannten „Lokantas“ ist es einfacher, ohne große Verhandlungen für sein leibliches Wohl zu sorgen. Preise sind mehr oder weniger Festpreise und dank der Flexibilität der Ladenbesitzer bleibt uns auch nichts vorenthalten. Wir werden sogleich in die Küche an den riesigen Herd geführt, auf dem überdimensional große Kochtöpfe thronen. Topfdeckel mit einem Durchmesser von einem guten Meter werden angehoben und stolz präsentiert uns der Chef die darunter verborgenen türkischen Köstlichkeiten. Heute bekommen wir Köfte angeboten. Die typischen türkischen Frikadellen sind von länglicher Form und schwimmen in einer Mischung aus Öl, Karotten, Zwiebeln und Auberginen. Das ist wie gemacht für mich und ich deute spontan mit meinem Zeigefinger in den Topf. „Tamam! In Ordnung!“ der Chef versteht. Ingo entscheidet sich für Kebap, ein Lammfleischspieß der in Fladenbrot gewickelt und mit Salat und Petersilie gereicht wird. Für 12 Türkische Lira speisen wir wie die Fürsten und bezahlen umgerechnet 7 Euro für uns beide. Der Salat und das Mineralwasser versteht sich inklusive. So billig kann man fast nicht selber kochen. Etwas abenteuerlicher wird es für uns bei dem Erwerb eines Briefumschlages. Um ein Buch zurück nach Deutschland zu schicken müssen wir eine „Kirtasiye“ finden, eine Schreibwarenhandlung, die neben Bürobedarf auch allerlei Krimskrams anbietet. Der hilfsbereite Ladenbesitzer kommt sofort hinter seinem Tresen hervor, als ich beginne, unter Zuhilfenahme meiner Hände die Form eines Briefumschlages anzudeuten. „Envelope, Umschlag, Letter, Carta, Brief….“ Warum beinhalten Reiseführer eigentlich nicht die wichtigen Dinge des alltäglichen Lebens? Den türkischen Wortschwall kann ich leider nur mit zuckenden Schultern und einem „Ich verstehe nicht!“ beenden. Er beginnt, sämtliche Waren in der von mir gezeigten Größe aus den Regalen zu ziehen, die ich nur abwehrend mit „Hayir, hayir! Nein, nein!“ stoppen kann. Ein weiterer Kunde im Laden beobachtet das Szenario, eilt auf die Straße und kommt eine Minute später mit einer Frau zurück, die uns in fließendem Englisch fragt, ob sie uns helfen könne. Ingo und ich schütten uns aus vor Lachen und erklären ihr unser Anliegen. Kurze Zeit später halten wir die gewünschten Briefumschläge in der Hand und bedanken uns überschwänglich für die türkische Hilfsbereitschaft. Mit Schulterklopfen und Handschlag werden wir von allen Beteiligten aus dem Schreibwarengeschäft verabschiedet. Als Ingo gestern zwei CDs mit türkischer Rockmusik in einem Musikladen ergatterte, bekam er noch eine dritte Schwarzgebrannte als kleine Aufmerksamkeit dazu. Der Musikspezialist war der Meinung, dass die Musik der lokalen Folkloreband vor Ort in keiner türkischen Musiksammlung fehlen darf…
03.12.2007, Side 60km südlich von Antalya, heiter 20°C Wie ein großer, vereister Wasserfall ragt der über 100 Meter hohe Abhang in die Landschaft. Eine riesig weiße Kalksteinerhebung mit leuchtend blauen übereinander gestapelten Bassins. Pamukkale, das UNESCO Weltkulturerbe befindet seit dem Jahre 2000 unter massivem Schutz von internationalen Umweltschutzorganisationen. Noch vor wenigen Jahren ragten luxuriöse Hotelanlagen auf dem Plateau unmittelbar über den Terrassen, die ihre Pools mit dem heißen Quellwasser speisten. Millionen von Besuchern wurden mit Bussen angekarrt und liefen mit Schuhen über die weiße Pracht.
Während das Kohlendioxyd entweicht, lagert sich der sogenannte Sinterkalk ab und verstopft die Abflusskanäle. Das Wasser kann nicht mehr entweichen. Durch das Überquellen der Abhänge bilden sich so die weißen Sinterterrassen und formen überdimensionale Badewannen.
Mit Apfeltee begrüßt Hacer unsere Ankunft und am Abend bekommen wir eine Kostprobe ihrer Kochkünste. Bei pürierter Linsensuppe, Hähnchenschenkeln, Reis und grünen Bohnen vollenden wir genussvoll den ereignisreichen Tag. Türkeitouristen wissen die Orte Antalya und Side zu beschreiben und letztgenannter bestimmt unser heutiges Etappenziel. Side, das eigentlich Selimiye heißt, hat lediglich 5.000 Einwohner zu verzeichnen. Der Ort ist einer der großen Magneten der türkischen Riviera. Alljährlich bummeln fast eine Millionen Urlauber durch die Ruinen der einst antiken Weltstadt. Im Zentrum reiht sich Leder- an Juweliergeschäft, Restaurant an Hotel. Die Händler zählen zu den aufdringlichsten der türkischen Küste. Um nicht nach einer Stunde total entnervt in die Flucht geschlagen zu werden, machen Ingo und ich uns einen Spaß aus der Stadtbesichtigung. Wir zählen die Anmachen der Händler und Straßenverkäufer und werten die besten Sprüche aus. Am Ende des Nachmittages zählen wir im Schnitt 30 "Belästigungen" pro Stunde und hier folgen die zehn besten: „Ich zeige Dir eine Überraschung.“ „Ich schenke Dir was für 5 €.“ „Nur eine nette Frage ohne Geschäft.“ „Schmeckt lecker, macht nicht dick.“ „Für hübsche Frau hübsche Ware hab‘ isch.“ „Ohne Zwang mal schauen.“ „Hallo isch bin hier.“ „Umleitung, letzte Tankstelle vor der Autobahn.“ „Schmeckt lecker, ich bin Dr. Oetker.“ „Ich bescheiß‘ weniger.“
01.12.2007, Selcuk 80km südlich von Izmir, heiter 22°C
Kaum zu glauben! 22 Grad und das nur 80 Kilometer südlich von Izmir. Wir freuen uns über die Sonne und in Kürze werden wir unsere Thermounterwäsche den Krokodilen zum Fraß vorwerfen. Izmir zur Rushhour ist furchtbar! Smog, Lärm und Gedränge. Auf dreispurigen Fahrbahnen wird eine vierte und fünfte hinzugedacht und plötzlich finde ich mich zwischen einem Lkw und einem Bus wieder. Drei Zentimeter Platz zur linken Seite und zwei zur rechten. Wenn das kein Spaß ist! Der Fordfahrer hinter mir hupt sich die Seele aus dem Leib und ich kann nur mit deutscher Gewissenhaftigkeit und schulterzuckend auf die Ampel vor mir deuten. Ich fahre nicht bei rot drüber, und wenn Du Dich hinter mir schwarz ärgerst! Um den Weg nach Syrien etwas abzukürzen wählen wir die Weiterfahrt durch die Berge. Pamukkale liegt auf dem Weg und dies soll eine touristische Hauptattraktion der Türkei sein. Riesige, übereinander gestapelte Bassins wirken wie überdimensionale Badewannen im Kalkstein. Wir sind gespannt, wie die Touristenschlepperei vor Ort aussieht, der Reiseführer warnt ausgiebig vor der Aufdringlichkeit. Mal sehen, wie fit die türkischen Bauernfänger in der Nachsaison sind.
28.11.2007, Canakkale in der Nordtürkei, bedeckter Himmel 6°C
„Igitt, ist der bitter!“ angewidert kräuselt sich der obere Teil meiner Nase als ich den typisch türkischen „Çay“ in meinen Mund fließen lasse. Grinsend reicht mir der bärtige Typ hinter dem Tresen die Zuckerdose. Sein Schnurrbart vibriert leicht, als er mir erklärt dass man ein bis zwei Stücke Zucker in das kleine bauchige Glas rührt, bevor der Tee als trinkfertig anzusehen ist. Der starke Schwarztee ist das Nationalgetränk der Türken und wird den lieben langen Tag hindurch getrunken. Ob beim Frühstück, Teppichkauf oder Friseur. Er ist kaum vom Straßenbild wegzudenken. Wahrscheinlich würde der Engländer die Hände über dem Kopf zusammen schlagen. Zum „English Breakfast Tea“ oder dem aromatischen „Earl Grey Tea“ liegen hier Welten, eben genau jene welche auch auf der Landkarte zwischen der Türkei und England zu finden sind. Aber über Geschmäcker lässt sich ja bekanntlich streiten und über Kulturen sicherlich ähnlich gut, ganz besonders über eine Teekultur und die Trinkweise einer solchen. Selbst von Fish and Chips sind wir hier weit entfernt und diese Distanz ist durchaus positiv auf der östlichen Seite des Mittelmeeres, dem Bosporus, zu verbuchen. Unzählige Lokale am Straßenrand preisen ihre Waren in den Schaufenstern preis. In appetitlich angerichteten Vitrinen stehen Genüsse wie mit Hackfleisch gefüllte Auberginen, grüne Bohnen in Tomatensoße und Lammgeschnetzeltes oder Fleischspieße. Gereicht dazu wird klebriger Reis oder Bulgur, der aus Weizengrütze mit Minzblättern und verschiedenen Gewürzen verfeinert wird. Ekmek, frisches Weißbrot, wird zu jeder Gelegenheit gegessen und nach dem heutigen Abendessen verstehen wir auch den Grund dafür. Die Speisen schwimmen in Olivenöl und eifrig tunken wir die Brotstücke in die Soßen, um unseren untrainierten Mägen eine aufsaugende Unterstützung der ungewöhnlich fetten Nahrungsverabreichung zu geben. Schließlich wollen wir morgen früh weiterfahren und das großzügig beigemengte Olivenöl kann schnell eine ähnliche Wirkung entwickeln wie eine förderlich verabreichte Portion Rizinusöl.
23.11.2007, auf der Fähre von Venedig nach Igoumenitsa, bedeckter Himmel 8°C Wir sind vor zwei Tagen aufgebrochen, unsere Motorradreise nach Syrien und Jordanien zu starten. So abenteuerlich wie die Reise klingt, so beginnt sie auch. Nachdem wir bei 14 Grad und strahlendem Sonnenschein den St. Gotthard Tunnel passieren, erwartet uns auf der anderen Seite starker Schneefall und weiße Straßen. Mit 60 km/h schleichen wir über die gezuckerte Autobahn und hoffen das Beste. Als der Schnee sich an den Straßenrändern langsam auflöst, öffnet sich der Himmel für uns. Eine nicht enden wollende Regenflut ergießt sich über uns und ich stelle mir mehr als einmal die Frage, was am Motorradfahren schön sein soll. Von Thermounterwäsche bis zur Regenhose haben wir, einer Zwiebel ähnlich, sämtliche Schichten an uns. Es hilft nichts. Nach 6 Stunden machen Ingos Handschuhe einem Schwamm Konkurrenz und in meinen Schuhen blubbert es wenn ich nur die Zehen bewege. Wir planen stündliche Pausen ein, doch selbst die heisse Schokolade bei Mc Donalds gefriert an unseren Mageninnenwänden. Die 6 Grad Aussentemperatur durch Italien testen erbarmungslos unser körpereigenes Immunsystem!
Nun sitzen wir auf einer schaukligen Fähre der Anek Lines nach Igoumenitsa und Ingo hat sich schon vor einer Stunde in seinen Schlafsack verkrochen. Meine Sorge gilt seiner Gesichtsfarbe, die sich von Minute zu Minute mehr in Richtung hellgrün verändert. Wer Ingo kennt, der weiß, dass „Bemuttern“ hier fehl am Platze ist. So lasse ich ihn in Ruhe liegen und öffne zischend meine eisgekühlte Dose Heineken Bier. Meinem Magen geht es ausgezeichnet und wer weiß ob sich das im Laufe des Abends noch ändern wird. So, let’s take the opportunities when they arise und schließlich haben wir ja Urlaub. Prost!
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