|
|
15.12.2012 Chile, Laguna Torca: Nächtlicher Besuch Die Nacht beginnt mit dem Sonnenuntergang. Zu beachten ist, dass die Sonne auf der Südhalbkugel im Osten aufgeht und dann über den Norden nach Westen wandert um dort unterzugehen. „Ich fahre nur bei Sonne und ausserdem nur auf Asphaltstrassen!“ Zur Unterstreichung meiner Aussage verschränke ich in abwehrender Körperhaltung meine Arme vor dem Bauch. Lautes Gelächter schallt durch die Villa Kunterbunt und am durchdringendsten tönt es von den Leuten heraus, die die Tour Alaska-Feuerland bereits hinter sich haben. Meine Lippen spitzen sich zusammen und im gleichen Augenblick beginne auch ich zu grinsen. Natürlich ist mir bewusst, dass Asphalt und Südamerika nicht wirklich zusammen passen. Die grüne Weite, die das Seengebiet auf dem Weg nach Patagonien umgibt, lässt die Niederschlagsmenge dort erahnen. Wir starten am frühen Donnerstag Morgen von der Villa Kunterbunt, um in das „Reserva National Laguna Torca“ zu fahren. Das nördlich von Vichuquen gelegene Seengebiet ist in einer Tagesetappe von Valparaiso aus gut zu erreichen. Bereits am ersten Fahrtag bekommen wir die Strassenqualität Chiles deutlich zu spüren. Nach anfänglichen gut ausgebauten Strecken durch kleine Dörfer beginnt ohne Vorwarnung der Belag in groben Schotter zu wechseln. Bereits nach kurzer Zeit steht mir der Schweiss auf der Stirn und ebensolcher findet sich unter meinen Achseln. Die Offroadkurse sind bei mir gut 10 Jahre her und es dauert eine ganze Weile, bis ich mich an die Unebenheiten unter meine Motorradreifen gewöhne. Ich finde dann doch die passende Geschwindigkeit und schaffe es, das rutschende Hinterrad zu ignorieren. Wir sind zu dieser Zeit bereits seit morgens unterwegs, und eigentlich freue ich mich auf ein Abendessen und darauf, die Mopedklamotten auszuziehen. Nochmals ändert sich der Strassenbelag, diesmal finden sich tiefe Sandeinlagen auf dem Weg. Theoretisch kenne ich alle Regeln des Sandfahrens: Je mehr Sand, desto mehr Gas. Doch meine rechte Hand scheint genau das Gegenteil zu tun, obwohl ich mich intensiv bemühe, unter dem Helm die richtigen Kommandos an mich zu richten: „Gib Gas! Los doch!“ So richtig flüssig will es aber dennoch nicht laufen. Zumindest besteht keine Gefahr, in die Dämmerung zu kommen, da wir hier auf der südlichen Halbkugel den Sommer geniessen dürfen. Es ist bis ca. 21.30 Uhr hell genug und nach einer wackeligen Brückenüberfahrt finden wir einen etwas staubigen, aber nett gelegenen Campingplatz in dem Nationalreservat Laguna Torca. Nach Erdnüssen und Bier zum Abendessen beginnt es langsam dunkel zu werden und wir verkriechen uns ins Zelt. Bereits nach wenigen Minuten höre ich die gleichmässigen Atemzüge von Ingo an meiner linken Seite. Doch Moment mal, warum höre ich auch von rechts ein Schnaufen? Ich versuche, in die Stille der Nacht zu lauschen und konzentriere mich auf die Geräusche. Eindeutig, etwas oder jemand ist draussen am Zelt. Unregelmässige, fast hektische Atemzüge sind zu hören und mir gefriert das Blut in den Adern. Ich halte die Luft an, mein Herz gleicht einem Trommelwirbel. Da ist es wieder! Direkt an meinem Ohr! So tief unten am Boden? Das kann nur ein Tier sein! Was gibt es wohl hier in Chile! Bären? Wohl eher nicht! Über Puma habe ich gelesen. Die gibt es, aber hier? Ein Wolf? Ein Wolf! Es ist bestimmt ein Wolf! Immerhin befinden wir uns hier im Wald! Und im Wald leben Wölfe! Wie kann Ingo jetzt schlafen? Ich nehme meinen gesamten Mut zusammen, richte mich auf und öffne den Reissverschluss vom Eingang. Nur ganz wenig, so weit, dass mein Kopf geradeso durch die Öffnung hindurchpasst. Ich kneife die Augen zu zwei engen Schlitzen zusammen (immerhin bin ich stark kurzsichtig) und versuche mit meinem Blick die Dunkelheit zu durchdringen. Doch ich sehe nichts! Einfach gar nichts! Und das hat nur bedingt mit den -5 Dioptrien zu tun. Hier gibt es keine einzige Lichtquelle und ich stelle mir so das Innere eines Bärenpopos vor. Einfach nur dunkel! Ingo gähnt plötzlich laut auf und mir bleibt fast das Herz stehen vor Schreck. Ich zische ihn an, still zu sein doch er murmelt nur ein verständnisloses „warum schläfst Du nicht?“ Plötzlich höre ich aus der Entfernung eine Stimme. Gedämpft aber fordernd lässt sie sich eindeutig einem männlichen Wesen zuordnen. Ein schriller Pfiff hallt durch die Dunkelheit und so plötzlich wie es gekommen ist verstummten die schnaufenden Laute vor dem Zelt. Ein dumpfes „Wuff!“ lässt alle Felsbrocken von meinem Herzen fallen und ich sinke in die wohlige Wärme meines Schlafsacks.
|
Wetter: Sonne 23 Grad
|
|