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02.Mai 2013 Bolivien, Lago Titicaca – Das wahre Copacabana Ein Leck in einem Schiff führt zum Eindringen von Wasser in das Schiffsinnere. Bei einem Leck unterhalb der Wasserlinie dringt das Wasser durch den von außen wirkenden Wasserdruck ein. Das eindringende Wasser kann die Stabilität des Schiffes beeinträchtigen oder es zum Sinken bringen. Bei Copacabana denken die meisten an den berühmten Stadtteil in Rio de Janeiro. Doch es gibt noch einen anderen Ort, der den gleichen Namen trägt. Er liegt am Titicacasee in Bolivien und nimmt sogar für sich in Anspruch, das Original zu sein. Auf dem Weg dorthin müssen wir ein schmales Stück des Titicacasees mit dem Boot überqueren. Vielleicht möchte ich das Gefährt, das vor uns am Steg liegt, eher als Kahn bezeichnen, denn es ist nicht mehr als ein hölzernes Fortbewegungsmittel, dem ich aus der Entfernung nur bedingt Vertrauen schenke. Leider ändere ich meine Meinung auch bei näherer Betrachtung nicht. Dicke Holzbohlen bedecken das Innere der Bodenfläche und ich frage mich bereits jetzt, wie ich auf dem wackligen Untergrund mein Motorrad wenden soll. Der Kahn hat nämlich nur einen Ausgang. Der Hafenmeister muss sich im Alter von plus/minus 30 bewegen. Er kommt auf uns zu, begrüsst uns mit Handschlag und dreht wie ein lauernder Wolf seine Runden um unsere Motorräder. Seine Aufmerksamkeit gilt meiner kleinen X-Country. „Me gusta tu moto! – Mir gefällt Dein Motorrad!“ meint er schliesslich anerkennend nickend. Er ist nicht der erste. Die kleingewachsenen Südamerikaner können mit Ingos riesiger F800 wenig anfangen. Auch unser Hafenmeister nicht. Mit 1.60 Metern Körpergrösse überrage sogar ich ihn um einige Zentimeter. Doch dies tut seiner Männlichkeit keinen Abbruch. Anerkennend streicht er über den dicken, weissen Tank und stellt mir die Frage, die ich auf dieser Reise schon so oft gefragt wurde: „Wie schnell fährt Dein Motorrad?“ Wahrheitsgemäss antworte ich ihm, was ich schon so oft geantwortet habe: „Ich habe es noch nicht ausprobiert!“ Nachdem wir mit Hilfe des Bootkapitäns die Motorräder vom Kahn manövriert haben, fahren wir weiter entlang des Sees in Richtung Copacabana. Das bolivianische Städtchen liegt auf einer Halbinsel im Titicacasee, umrahmt von sanften Hügeln. Zumindest der halbmondförmige Schwung der Bucht erinnert an den weltberühmten Stadtteil Rio de Janeiros mit seinen langen Sandständen. Doch von Massentourismus keine Spur. Ein Kleinod mit ganzjähriger Siesta-Stimmung. Langsam beginnt die Strasse, in Serpentinen in Richtung See abzufallen. Kurz bevor wir in die Ortschaft einfahren, werden wir zum Anhalten gezwungen. Eine über die gesamte Strassenbreite gespannte Kette versperrt uns den Weg. Ein Mann in Polizeiuniform kommt aus seinem Häuschen und fordert uns auf, ihm mit sämtlichen Papieren ins Innere zu folgen. Er ist sehr freundlich, überprüft unsere Reisepässe und die Fahrzeugimportpapiere und gibt uns eine kurze Einweisung in die Möglichkeiten, verschiedene Inseln auf dem Titikakasee zu besuchen. Sein Kollege sitzt am Schreibtisch und öffnet ein grosses Buch, in das er handschriftlich unsere Fahrzeugdaten einträgt um anschliessend gewissenhaft unsere Importpapiere auf der Rückseite zu stempeln und zu signieren. Lächelnd gibt er uns die Papiere zurück mit der Aufforderung, jeweils 10 Bolivianos (ca. 1.50 USD) an ihn zu bezahlen. Ingos Frage kommt unerwartet: „Por que? – Wofür?“ Der Beamte deutet ausladend auf seine geschriebenen Zeilen und erklärt, dass die Signierung der Papiere kostenpflichtig sei. „Wir bezahlen gerne“, antwortet Ingo, „doch wir brauchen eine Quittung!“ Nun schüttelt unser Polizist am Schreibtisch langsam mit dem Kopf. Nein, nein, hierfür gibt es keine Quittung. Ob er denn dann wenigstens den Erhalt des Geldes neben dem Stempel und seiner geleisteten Unterschrift bestätigen könnte, frage ich ihn nun direkt. Doch auch dazu ist er nicht bereit. Ingo holt tief Luft: „In der Schweiz gibt es ein Gesetz, das besagt, dass wir sämtliche behördliche Zahlungen im Ausland quittieren lassen und dann an die Botschaft einreichen müssen!“ Langsam nimmt er unsere Reisepässe vom Schreibtisch des Polizisten. „Wenn wir keine Quittung bekommen können, können wir leider auch nicht bezahlen!“ Mit diesen Worten verabschiedet er sich höflich und zieht mich am Jackenärmel hinter sich her auf die Strasse. Gespannt wie ein Flitzebogen erwarte ich, dass wir ins Büro zurück zitiert werden, doch nichts passiert. An der Stelle des Polizisten hätte ich ja wenigstens nach einer Paragraphennummer für dubioses Schweizer Gesetz gefragt. Doch in Bolivien, wo Leidenschaft und Legenden gegenüber Logik und Verstand meistens die Oberhand behalten, kommt es nicht immer auf stichhaltige Beweise an. Das hübsche Ortsbild von Copacabana mit gepflegten Häuschen samt Blumengärten lassen das karge Andenhochland vergessen. Der Ort liegt kurz vor der Grenze zu Peru, verkehrsgünstig an der Route zwischen der bolivianischen Hauptstadt La Paz und Cusco, dem peruanischen Basislager für Ausflüge in die Inkastadt Machu Picchu. Trotz der Höhenlage – Copacabana liegt auf 3820 Metern über dem Meeresspiegel – ist es am Titicacasee tagsüber oft sehr mild. Doch die Einheimischen lockern bei Temperaturen knapp über 20 Grad gerade mal den Reissverschluss ihrer Daunenwesten. Entlang der Einkaufsgassen mit kleinen Verkaufsläden sehen wir Körbe, prall gefüllt mit cremefarbenen, golfballähnlichen Dingen. Sie sehen aus, als würden sie sich bestens als Dämmmaterial für Paketsendungen eignen. Tatsächlich verkaufen die Damen am Strassenrand Pasankallas, eine Art bolivianisches Popkorn. Der Titicacasee hat eine Fläche von 8288 Quadratkilometer und ist das höchstgelegene kommerziell schiffbare Gewässer der Erde. Er hat eine maximale Tiefe von 281 Metern. Der westliche Teil des Sees gehört zu Peru, der östliche Teil zu Bolivien. Es gibt eine Vielzahl von kleinen Inseln, von denen einige Relikte der Inka-Kultur beherbergen. Die nahe gelegene Isla del Sol auf dem Titicacasee ist ein beliebtes Ausflugsziel. Eineinhalb Stunden dauert die zwanzig Kilometer lange Fahrt zum nördlichen Anlegehafen der Insel. Wir sind mit etwa 30 weiteren Passagieren an Bord, vornehmlich Touristen aus Europa. Mir gegenüber sitzt ein junger Brite, der mit kurzen Hosen und Flipflops auch ohne Wortwechsel schnell als solcher identifiziert ist. Mit grossen Kopfhörern über den Ohren nickt er im Takt der Musik, der nur er hören kann. Ich beobachte ihn dabei und finde es plötzlich ein bisschen schade, nicht an dem Genuss teilhaben zu können. Ganz unerwartet ändert sich sein Gesichtsausdruck. Seine Mundwinkel ziehen sich nach unten und blitzartig schnellen seine Füsse samt Flip Flops in die Höhe. Auf der gesamten Länge des Holzbodens des Schiffes hat sich eine ordentliche Menge Wasser angesammelt. In unseren wasserfesten Wanderschuhen fällt dies nicht weiter auf. Doch der Brite sieht sich gehetzt und irritiert um und erregt so die Aufmerksamkeit der anderen Mitreisenden. Ratlose Blicke wechseln ihre Besitzer. Im Bauch des Schiffes befindet sich sicher ein halber Meter Wasser, der durch die Bodenplanken nach oben gedrückt wird. Dies ist mittlerweile auch dem Kapitän aufgefallen, der mit eiligen Schritten in den Innenraum gelaufen kommt. Mit einem grossen weissen Eimer beginnt er, den Wassermassen entgegenzuwirken. Zeitgleich versichert er: „Todo bien, no hay problema! – Es ist alles in Ordnung, kein Problem!“ Für einen kurzen Augenblick glaube ich ihm das auch. Doch als er beginnt, während der Schöpfarbeiten hektisch mit dem Handy zu telefonieren, werde ich doch etwas unruhig. Mein Blick gleitet nach oben. An der Decke hängen die orangefarbenen Schwimmwesten, dessen Summe ich auch nach mehrmaligem Zählen nur auf 7 bringe. Das heisst, jeder vierte Passiere bekommt eine ab, super! Mittlerweile hat der Kapitän sein Telefonat beendet. Nur noch wenige Eimer Wasser werden nach draussen geschöpft. Statt dessen wandert sein Blick unterstützt durch zwei schattenspendende Hände über den Augen in der Weite des Horizonts. Tatsächlich nähert sich ein Boot, das sich als unsere „Rettung“ auf hoher See herausstellt. Mit feuchten Füssen wechseln wir unseren schaukelnden Untersatz und setzen, als wäre nichts gewesen, unsere Reise zur Isla del Sol fort. Dort mit 30 Minuten Verspätung angekommen, können wir unsere Landexkursion starten. Rund 200 Höhenmeter müssen wir auf einer alten, steilen Inka-Treppe bewältigen. Doch die überwältigende Landschaftskulisse entschädigt für die Plackerei. Oben angekommen haben wir grandiose Ausblicke über den See und auf das Festland. Und die Königskordilleren im Hintergrund, mitsamt dem faszinierenden Illampu (6368 Meter) erstreckt sich wie eine Fata Morgana auf dem bolivianischen Festland. Im peruanischen Teil des Titicacasees befindet sich die Isla Urus. Dort lebt eine ethnische Gruppe Indigener, derzeit etwa 2000 Menschen. Sie leben auf „schwimmenden Inseln“, die sie aus getrocknetem Totora-Schilf herstellen. Dieselbe Pflanze ist unter anderem auch Rohstoff für Schilfboote und die Häuser auf den Inseln. Die Wurzel der Totora-Pflanze dient auch als Nahrungsmittel und ist reich an Jod. Die Urus leben hauptsächlich von der Fischerei. Eine zusätzliche Einnahmequelle ist der Verkauf von bunten Decken, Hüten und verschiedenem Kunsthandwerk an die Touristen. Auch die Isla Taquile befindet sich im peruanischen Teil des Titicacasees. Die Sprache der 1700 Einwohner auf der Insel ist Quechua, das von allen Altersstufen aktiv gesprochen wird. Die "Taquileños“, so werden die Einwohner genannt, tragen auch heute noch traditionelle, indianische Tracht. In den 1930er Jahren diente Taquile als Gefängnisinsel, wo unter anderem auch der ehemalige peruanische Präsident Luis Miguel Sanchez Cerro einsass. 1937 kauften sich die Taquileños das Eigentumsrecht über die ganze Insel zurück.
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Wetter: 20 Grad, sonnig
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