13. Mai 2013 Peru, Lima – Gute Tage und weniger Gute

Die Bereifung hat wesentlichen Einfluss auf Leichtlauf, Fahrkomfort und Traktion eines Motorrades. Sie besteht üblicherweise aus dem Reifen  und dem Schlauch. Der Reifen  hält den Mantel gegen den Innendruck stabil und überträgt Beschleunigungs-, Brems- und Seitenführungskräfte auf den Untergrund. In der Regel ist er mit einem Profil versehen. Der innenliegende Schlauch ist luftdicht und mit einem Ventil versehen. Er hält den Reifendruck aufrecht.

Auf unsere Weiterfahrt nach Lima passieren wir die vielbeschriebene wüstenhafte Küstenregion, die in Motorradreiseberichten mit Schlagwörtern wie „Alptraum“ und „Mondlandschaft“ dominiert. Auch wir machen unsere ganz persönliche Erfahrung mit dieser Gegend. Die Sonne hat sich bereits vor mehreren Kilometern vom Himmel verabschiedet. Was bleibt ist ein grauer, dunkler Ball am Horizont, der sein bestes tut, um den dichten Sandvorhang zu durchdringen. Es hängt eine dicke Suppe in der Nachmittagsluft, eine Mischung aus Salz und Sand. Wie lästige Fliegen klebt das Gemisch an Visier und Motorradkleidung und unsere BMWs sehen nach wenigen Minuten aus wie Kamele in der Wüste.

Der Verkehr verdichtet sich, je näher wir uns Richtung Lima bewegen. Uns ist nach der bolivianischen Hauptstadt La Paz nicht nach einer weiteren Millionenstadt zumute, so dass wir versuchen, mit Hilfe des Navigationsgerätes den Weg zur Ringautobahn zu finden. Das GPS mit den gespeicherten peruanischen Karten ist nur bedingt zuverlässig und mehrmals überholt mich Ingo um mir anzuzeigen, dass wir erneut eine andere Richtung einschlagen müssen. Im dichten Stadtverkehr sind wir umzingelt von sogenannten Mototaxis. Die kleinen, dreirädrigen Mofas sind mit einer Art Plane überzogen, um hinten sitzende Fahrgäste vom Verkehr abzuschirmen. Sie erinnern sehr an die Tuk-Tuks in Indien. Es herrscht ein einziges Hupkonzert um uns herum. Jeder macht jeden darauf aufmerksam, um zu überholen, um auszuscheren, um anzuhalten. Auch der silberfarbene Pkw neben mir veranstaltet einen ohrenbetörenden Lärm, so dass ich trotz des Gewimmels  im Strassenverkehr meinen Blick von der Fahrbahn abwende. Aus der geöffneten Fensterscheibe winkt mir ein glatzköpfige Mann und sein junger Begleiter zu und streckt mir seinen dicken Daumen entgegen. Er deutet auf meine und Ingos BMW. Immer abwechselnd wedelt er seine Hand hin und her, um am Ende wieder den Daumen in die Luft zu recken. Offensichtlich findet er Gefallen an uns. Ich winke kurz zurück und frage mich, wie man in diesem  Verkehrschaos Augen für andere Fahrzeuge haben kann. Männer!

Wir befahren gerade die rechte Spur einer langgezogenen Kurve, als Ingo mich erneut überholt. "Was ist denn jetzt schon wieder nicht in Ordnung?“ zische ich in das Innere meines Helmes. Ganz knapp vor mir schert er auf den schmalen Seitenstreifen aus und zwingt mich zum Anhalten. Das Taxi hinter mir fährt mir fast in den Auspuff und glücklicherweise verstehe ich die spanischsprachigen Flüche des Fahrers nur zum Teil. „Ich habe einen Platten!“ raunzt Ingo mir entgegen.

Wir stehen auf einer sandigen Zufahrt zu einem Schrottplatz, der neben der Ringautobahn um Lima liegt. Wie einladend! Hier wollte ich schon immer mal Reifen wechseln. Ich habe mich nur notdürftig mit der Sicherheitslage Limas beschäftigt, da wir die Stadt von Anfang an lediglich passieren wollten. Doch in Sekundenschnelle kann ich mir mit bildhafter Phantasie das Klientel eines peruanischen Schrottplatzes vorstellen, der zu allem Vorteil in der 8-Millionen-Hauptstadt Perus liegt. Wirklich sehr idyllisch!

Wütend blicke ich auf Ingo, der gemächlich seinen Helm absetzt. Unweigerlich staut sich in mir eine Wut an, auf ihn und ja, auf seinen blöden Hinterreifen, obwohl ja keiner von beiden etwas dafür kann. Ein langes, fingerdickes Stück Eisen ragt aus seinem Metzeler-Reifen und nun ist auch mir klar, dass dies hier keine Kaffeepause werden wird. Also hecken wir einen weiteren Schlachtplan aus: Hinterrad ausbauen, Küchenkoffer leerräumen, um an das Werkzeug zu gelangen und Ersatzschläuche aus den Tiefen der Packsäcke herauskramen.  Es ist ein Weilchen her, dass Ingo zuletzt selbst Reifen gewechselt hat. Doch Ingo wäre nicht Ingo, wenn er sich nicht auch dieser Aufgabe mit Ruhe und Konzentration stellen würde.

Der ausgebaute Hinterreifen  liegt bereit. Und nun folgt ein Schritt nach dem anderen: Mit der Schraubzwinge den Reifenwulst vollständig vom Felgenrand lösen, Schlauch herausziehen, Loch ausfindig machen und entscheiden, dass sich Flicken nicht lohnt, neuen Schlauch einsetzten, Ventil durch die Bohrung stecken, mit der Mutter sichern,  den Reifenwulst mit Haarshampoo beschmieren, damit es besser flutscht, nun Stück für Stück über die Felge ziehen, vorsichtig, damit der neue Schlauch nicht beschädigt wird, gleichzeitig die gegenüberliegende Seite des Reifens niederdrücken, damit sie sich während des Hebelvorganges in das Tiefbett der Felge setzen kann.  Kurz vor der Abreise haben wir uns noch einen 12-Volt-Minikompressor von Touratech geleistet, der nun zum Einsatz kommt. An die 12-Volt-Steckdose der F800 angeschlossen, wird nun mit lautem Getöse Luft in den Hinterreifen gefüllt. Der richtige Sitz des Reifens ist erreicht, wenn durch zweimaliges lautes Ploppen der Reifen in die Endposition springt. Plopp! Plopp! Das war’s!

Genau 60 Minuten später steht Ingos Motorrad mit eingebautem Hinterrad startklar auf der Schotterzufahrt des Schrottplatzes. „Wenn Du dann endlich soweit bist, können wir weiterfahren!“ Wie in Watte gehüllt erreichen Ingos Worte meine Ohren, da ich wie immer vor der Abfahrt damit beschäftigt bin, meine Haare ordentlich unter dem Helm zu verstauen. Doch empfinde ich deutlich ein Gefühl ironischer Belustigung, die wie eine kaum spürbare Berührung auf meiner Haut liegt. Wessen Idee war es noch gleich, eine Kaffeepause auf einem Schrottplatz einzulegen?

 

Wetter:

Sonne, 24 Grad

 

 

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