17. Juni 2013 Kolumbien, Bogotá  – Darien Gap

Ein Paragraphenreiter ist eine Person, der vorgeworfen wird, in allzu kleinlicher Weise auf der Einhaltung von Paragraphen und sonstigen Vorschriften zu bestehen. Sinnverwandte Wörter wären: Erbsenzähler, Bürokrat, Kleinigkeitskrämer, Korinthenkacker. Es wird behauptet, dass es auch in lateinamerikanischen Ländern „Caballeros de Párrafo“ geben soll.

Eine breite, vierspurige Strasse führt uns ins Zentrum von Bogotá. Mit uns sind noch ein paar wenige Taxifahrer unterwegs, doch mehr gibt der Verkehr am Vormittag des heutigen Feiertages nicht her. Zahlreiche grosse Hauptstrassen bleiben an Sonn- und Feiertagen für den Autoverkehr gesperrt und werden ausschliesslich für Fussgänger, Radfahrer und Inlineskater freigegeben. Es wimmelt von Menschen, die die frische, klare Morgenluft ausnutzen und die Möglichkeit der sportlichen Betätigung mitten im Zentrum der Hauptstadt Kolumbiens ausnutzen. Auch für uns ist es ein Paradies, ohne Verkehrskolonnen unser Hotel zu finden. Zweimal müssen wir illegaler Weise für kurze Momente durch Zonen fahren, die für die sportliche Ertüchtigung gesperrte wurden. Doch wir reihen uns und die BMWs einfach in die Körperkultur mit ein. Banausen waren wir ja schon immer. Wir haben für 2 Nächte das Hotel Ibis im Zentrum der Hauptstadt vorgebucht. Es liegt eigentlich über unserem Budget, doch es fühlt sich unheimlich gut an, das fremde und doch vertraute Zimmer zu beziehen, das wahrscheinlich überall auf der Welt gleich aussieht.  Auf Ibis ist Verlass. Willkommen zu Hause – oder war das ein Leitsatz aus der Ikea-Werbung?

Mit ihren 7 Millionen Einwohnern im eigentlichen Stadtgebiet ist Bogotá eine der am schnellsten wachsenden Metropolen Südamerikas. Die Elendsviertel an den Stadträndern vergrößern sich ständig. Hatte Bogotá 1951 noch 715.000 Einwohner, so hat sich deren Zahl bis heute fast verzehnfacht.

Die Landflucht der Bevölkerung ist enorm. Um der Verarmung auf dem Land zu entgehen, ziehen viele Bauern in die Hauptstadt, in der Hoffnung, dort einen Arbeitsplatz und bessere Lebensbedingungen vorzufinden.

Bogotá ist Verkehrsknotenpunkt sowie wichtigstes Wirtschafts- und Kulturzentrum des Landes mit Universitäten, Hochschulen, Museen und Baudenkmälern. Eines der weltberühmtesten Museen ist das Museo del Oro, das Goldmuseum, dessen Sammlung präkolumbianischer Goldobjekte weltweit einzigartig ist. Bogotá liegt in einer fruchtbaren Hochebene der Anden, der Sabana de Bogotá, 2.640 Meter über dem Meeresspiegel.

Von Bogotá aus wollen wir unsere Motorräder mit der dort ansässigen Cargo Firma Girag nach Panama Stadt verfliegen.  Ein Urwaldgebiet zwischen Süd- und Zentralamerika, das so genannte Darien Gap verhindert eine Weiterfahrt mit eigenem Fahrzeug. Im Darien wird die Asphaltstrasse, die 300 km weiter nördlich zehnspurig durch Panamas Hautpstadt führt, nach und nach zur Sand- und Holperpiste und hört dann völlig auf. Hier gibt es Malaria, Cholera, Wasserstrassen und Sümpfe. Aus seuchenhygienischen Gründen und zum Schutz des dortigen Regenwaldes wurde die Unterbrechung bisher noch nicht geschlossen.

Der Mittwoch vor der Ausreise ist komplett für die Exportdokumentation reserviert. Unser Agent der Firma Girag heisst Jorge und wir treffen ihn bereits um 8 Uhr morgens am Cargo Flughafen von Bogotá, um auch genügend Zeit für die komplette Erstellung der Papiere zur Verfügung zu haben. Die Prozedur ist langwierig und mit viel, viel Warterei verbunden. Wiegeprozeduren, Gefahrengutkontrolle, Exportpapiere erstellen lassen.  Alles braucht seine Zeit. Für die Begutachtung der Motorräder durch die Polizei müssen wir sämtliches Gepäck abnehmen und den Inhalt präsentieren. Tanks werden beklopft, laufende Motoren belauscht und uns werden Fragen über Fragen gestellt. Doch alles läuft freundlich und stressfrei ab. Erst um 17 Uhr steigt in unseren Adern der Adrenalinspiegel an, als Jorge uns eröffnet, dass der Cargoflug für den morgigen Tag gestrichen wurde und erst am Samstag durchgeführt werden kann. Nach fast 10 Stunden Exportdeklaration sind wir entsprechend ausgelaugt und die Nachricht trifft uns wie ein Donnerschlag. Wir prüfen in Windeseile mit der Fluggesellschaft Avianca, ob eine Umbuchung unserer Flüge auf Samstag möglich wäre. Die Penalty sowie die Mehrkosten würden 400 USD pro Flug betragen. Das ist nun wirklich heftig. Wir entscheiden uns deswegen wie ursprünglich geplant am morgigen Donnerstag zu fliegen. Ohne Motorräder, dafür mit mulmigem Gefühl in der Magengegend.

Am nächsten Morgen stehen wir um 6.30 Uhr am Flughafen, bereit für den Check-in mit unserem minimalen Handgepäck. Die Dame am Schalter macht einen unausgeschlafenen Eindruck, als sie uns emotionslos fragt, wann wir aus Panama wieder ausreisen würden. „Das wissen wir noch nicht genau“ antworte ich ihr gutgelaunt. Ich hatte bereits eine starke Tasse kolumbianischen Kaffee und mein Energiepegel ist in diesen frühen Morgenstunden bereits bei 120 % angelangt. „Je nachdem, wie gut es uns im Land gefällt!“ Die Augen der Schalterdame weiten sich und ich habe den Eindruck, dass sie nun schlagartig hellwach ist. „Dann kann ich Sie nicht fliegen lassen! Die Migration in Panama schreibt eine Reservierung für die Ausreise vor. Und zwar zum Zeitpunkt der Einreise“. Wir erklären ihr, dass wir mit Motorrädern durch Zentralamerika reisen und die Ausreise von Panama nach Costa Rica über den Landweg erfolgen wird, wir also gar kein Ausreiseticket benötigen. Doch davon will Frau Schalterbeamtin nichts hören. Auch die offiziellen Zollpapiere der Motorräder, die wir ihr unter die Nase halten, interessieren sie nicht. Immer und immer wieder repetiert sie ihre Worte, dass die Vorschrift eine Ausreisereservation verlangt, egal wie wir letztendlich ausreisen. Es ist nicht nur unmöglich, eine Reservierung einer Ausreise auf dem Landweg mit eigenem Fahrzeug vorzulegen, es ist uns zudem unverständlich und völlig unlogisch. Doch wir können nichts ändern, ausser ein Ticket für eine Pseudoausreise zu beziehen.

Erneut stehen wir am Schalter der Fluggesellschaft Avianca. Das weibliche Bodenpersonal erinnert sich sogar noch an uns und unsere Umbuchungsanfrage vom Vortag. Freudig hält uns eine der Damen die Flugtickets entgegen, die fingiertes Ausreisedatum aus Panama bestätigen: 30. Juni 2013. Mit diesen Tickets in den Händen und um genau 1.661.640,-- Kolumbianische Pesos ärmer (entspricht ca. 800 US-Dollar) sind wir zurück am Check-in-Schalter. Wir  erhaschen von Frau Morgenmuffel ein zufriedenes Lächeln und kurze Zeit später halten wir unsere Boarding Pässe in den Händen. Wir dürfen unseren Flug nach Panama-Stadt antreten.

Was weder die Migration in Bogotá noch in Panama-Stadt zum jetzigen Zeitpunkt weiss: In genau 3 Stunden wird eine weibliche Touristin in einem namenlosen Hotel in Panama-Stadt vor ihrem Laptop sitzen und die Webseite einer renommierten kolumbianischen Fluggesellschaft aufrufen. Unter www.Avianca.com wird kurz darauf eine Stornierungsanfrage eingehen, die zwei kürzlich getätigte Ticketbuchungen für den 30. Juni 2013 von Panamá-Stadt nach Bogotá leider aufgrund von geänderten Reiseplänen wegen persönlicher Gründe stornieren muss. Diese persönlichen Gründe sind banal, trivial und bedeutungslos für andere, denn sie betreffen lediglich die Grösse des Lochs, welches in unserem Portemonnaie klafft. Doch es bedarf keiner Begründung. Die Stornierung der Flugtickets ist vielmehr ein Bedürfnis, die Unannehmlichkeiten zu teilen. Und Avianca ist mir in diesem Fall doch ein recht nahestehender Ansprechpartner!

Salzkathedrale in Zipaquira

 

Wetter:

20 Grad, Sonne und Regen

 

 

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