11. Oktober 2013 Kanada, Vancouver Island – Frauenzeit und Männertour

Die Zeit und die Musse zu haben, uns auf uns selbst und unsere Bedürfnisse und Wünsche zu besinnen. Uns wieder als Einzelperson und nicht als Teil eines Wir entfalten können. Auf die Stimme des Herzens hören. Zu der Musik der Seele tanzen. Mit diesen Vorstellungen  entlassen wir einander in unser zweiwöchiges Singleleben.

Im Regen stehen und zuschauen, wie der Herbststurm die Wellen in immer neue, nur wenige Sekunden bestehende Kunstwerke zerfetzt. Sich die Gischt aus dem Gesicht wischen und mit lustvollem Grausen erinnern, dass Vancouver Island aussergewöhnlich ist. Rau, herb und malerisch. Die vor der Westküste Kanadas hingestreckte Insel bietet ein Labyrinth aus Fjorden, Inseln und Buchten, dessen Pazifikwellen auf der Landkarte wirken, als versuchten sie sich nach Tausenden von Kilometern endlich an Land festzukrallen.

Doch nicht nur die Natur, auch Victoria, die grösste Stadt der Insel und zugleich Hauptstadt der Provinz British Columbia, hält diverse Überraschungen bereit. Etwa die von Kirschbäumen gesäumte Fishgard Street in China-Town oder das Fairmont Empress Hotel. Das Haus steht direkt gegenüber dem Parlamentsgebäude am Yachthafen und ist nicht nur architektonisch „very british“. Täglich um fünf Uhr treffen sich Gäste im holzgetäfelten Tearoom, um die Einnahme des englischen Nationalgetränks zu zelebrieren. Vor den Fenstern kreischen Möwen.  Gitarrenakkorde von einigen Hippies auf der Hafenmauer und das Tuckern eines auslaufenden Bootes mischen sich ins Klimpern der Silberlöffel auf den Untertassen. It´s a strange Island.

Doch es ist ein Platz, zu sich selbst zu finden. Der Herbststurm zeigt einem, wie klein und unwichtig man eigentlich ist. Er rückt die Verhältnisse wieder zurecht. Und ob das Wetter gut ist oder schlecht, spielt keine Rolle. Die Sinne machen eine Erfrischungskur. Und während ich mich für 2 Wochen in Victoria von den rund 35.000 Motorradkilometern der letzten 10 Monate erhole, macht Ingo eine kleine Männertour. Mit sich selbst und seinem Motorrad. Mal kurz hinauf nach Alaska, in die Abgeschiedenheit der wilden Natur. Dort sucht er den weissen Fleck auf der Landkarte. Seine persönliche „Terra incognita“. Doch Ingo ist nicht irgendein Traumtänzer, ziel- und orientierungslos und von einer existentiellen Hoffnungslosigkeit befallen. Im Gegenteil. Er will reisen, und zwar so intensiv wie möglich und er weiss auch wofür.

Von Vancouver aus steuert er nach Norden, nach lillooet und Prince George, wo der Dauerregen in den Höhenlagen in Schnee übergeht. Doch die farbenfrohe, orangefarbene Herbstlandschaft belohnt und beeindruckt. So auch der Bear Gletscher, dessen Zunge kurz vor Stewart auf dem Glacier Highway zu sehen ist.

Und ganz nebenbei  beim Fotografieren des weissen Riesen entdeck Ingo das grosse Geschäft am Wegesrand, das ein Gevatter Petz kürzlich hinterlassen haben muss. Dass es von einem Schwarzbären stammt, lassen die vielen unverdauten Beeren vermuten. Der Beweis zeigt sich wenige Sekunden später live und in Farbe. Fast wie ein Spielzeugteddy sieht der Schwarzbär aus, weich und flauschig, als er zwischen den Sträuchern hervorlugt. Freundlicherweise wartet er geduldig, bis Ingo ihn fotografiert hat, überquert dann die Strasse und verschwindet wieder im Dickicht.

   

Am 8. Tag seiner Männertour um genau 11.54 Uhr morgens sieht Ingo seit langem Mal einmal wieder die Sonne am Horizont. Sie schafft es, sich durch die Wolkendecke zu drängen. Und während der 19-stündigen Fährfahrt von Prince Rupert hinunter nach Port Hardy hat er genügend Zeit, um über den gelben Ball am Himmel nachzudenken, der es an 10 der vergangenen 11 Tagen nicht schaffte, sich gegenüber dem regenverhangenen Himmel durchzusetzen. Sein mathematisch denkendes Hirn stellt folgende Überlegung an: Ein Sonnenstrahl benötigt 149.000.000 Kilometer, um auf die Erde zu treffen und wird lediglich etwa einen Kilometer vor seinem Ziel durch eine dusselige Wolkendecke aufgehalten. Das ist vergleichbar mit einem Marathonläufer, dem 0,28 Millimeter vor der Ziellinie die Puste ausgeht…

Herbstbäume in British Colombia

Perfekte Spiegelung

Rainbow Lake in British Colombia

Südlichste Strasse nach Alaska

Vorbereitung an Claudias Motorrad für die Einlagerung und spätere Versendung nach Europa.
Jetzt geht es erst einmal auf einem Motorrad weiter.

 

Wetter:

8 Grad, Regen und etwas Schnee

 

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