30. November 2013 USA, Los Angeles – Onkel Dick

 

Mein Onkel Dick aus Waterloo, heah-heah-hoh

Hat ´nen Alpha Romeo

Mann das ist ´ne Schau

Glaubst es kaum, es ist ein Traum

Ein Ding zum Imponieren

Ein Wunder auf vier Räderchen

Ich durfte ihn polieren

Und wienern, wienern, wienern, mit ´nem weichen Tuch

Wienern, wienern, wienern, nie ist es genug

Ja, Du glaubst es kaum er hat ´nen Tick

Er putzt ihn jeden Augenblick

Oh, wie ist er entzückt

Völlig verrückt

Kann sich noch irgendjemand an diesen Liedtext erinnern? Grundschule. Schulchor. Unter der Leitung von Herrn Bartel. Dem kleinen hinkenden Lehrer in den 70er Jahren. Der einen mit seinem grauen Vollbart so ein bisschen an Papa Schlumpf erinnerte. Nein? Niemand?

Lust sieht anders aus, aber wir sind bereit

Wie sehr fühle ich mich in alte Zeiten zurück versetzt. Mit Onkel Dick aus Waterloo im Ohr, dessen Melodie ich pausenlos vor mich hersumme, halte ich den ölverschmierten Lappen in der einen Hand, die Zahnbürste in der anderen. Die Bürste der Marke Colgate hat mittlerweile einen Zustand erreicht, in dem ich sie selbst für viel Geld nicht mehr in den Mund stecken würde. Schotterreste aus Patagonien, Sand aus den chilenischen Anden, Salz aus Bolivien und jede Menge lateinamerikanische Fliegenreste kleben an ihr. Unermüdlich im Einsatz zwischen Speichen und Kettenritzel der BMW F800. Als ich gestern in der Supermarktkette „Safeway“ vor dem Regal mit den geschätzten 30 verschiedenen Modellen zur Mundhygiene stand, war ich schlichtweg überfordert. Gibt es eigentlich eine Marktstudie, die untersucht, welche Bürstenstärke am geeignetsten zum Motorradputzen ist? Weich, Mittelweich, Mittelhart, Hart? Putzen die schrägen Borsten besser zwischen den Speichen oder die mit den abgerundeten Enden? Ist ein wellenförmiger Bürstenkopf sinnvoller für die kleinsten Lücken am Kettenritzel oder ein Gezackter. Schwingkopf oder Rotationskopf? Elektrisch oder in guter alter Handarbeit? Die Auswahl ist enorm und ich überlege ernsthaft, ein Diskussionsforum in der weltweiten Motorradcommunity „Horizons Unlimited“ zu eröffnen.

Aber albern ist es schon. Für mich gibt es nichts Sinnloseres als ein Motorrad zu putzen. Eine flinke Dampfstrahlwäsche lasse ich mir allenfalls noch eingehen, aber richtig putzen? Nein, da hört der Spass auf. Und doch kommen wir nicht drum herum. Die australischen Importvorschriften verlangen eine penible Einhaltung der hygienischen Bedingungen bei importierten Motorrädern, die frei von jeglichem Schmutz und ebensolcher Ölreste sein müssen. Und den australischen Kontinent haben wir uns nun einmal als nächstes Reiseziel herausgesucht. Der Winter in Down Under lockt mit Sonne und Temperaturen um die 30 Grad - T-Shirt und Sandalen garantiert. Während meine X-Country im eisigen Vancouver in einer Holzkiste darauf wartet, nach Europa verschifft zu werden, planen wir, die weitere Reise zu zweit auf Ingos Motorrad fortzusetzen. Um den hochsommerlichen Temperaturen am anderen Ende der Welt Paroli bieten zu können, werden wir die ersten 6 Wochen im klimatisch gemässigten Tasmanien beginnen. Doch bevor wir am 2. Januar in Richtung Ozeanien starten, liegt noch eine Wiedereinreise nach Guatemala vor uns, wo ich erneut für zwei Wochen in der Klinik von Dra. Maira Lopez hospitieren darf. Wir werden ausserdem nochmals auf unsere Freunde Julio und Luisa in Antigua treffen, worauf wir uns besonders freuen. Ende Dezember haben wir dann eine Hochzeitseinladung in Philadelphia, an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Ingos bester Freund heiratet und wir haben unsere Reisepläne zurecht gerückt und optimiert, um dabei sein zu können. Und von Frau zu Frau: Ich habe nichts anzuziehen - ein Desaster!

Doch zurück zum Motorradimport nach Australien. Als wir am nächsten Morgen mit einer glänzenden und funkelnden BMW zur Verschiffungsfirma vorfahren, erwarten uns gleich zwei Überraschungen. Nach Aussage unserer zuständigen Sachbearbeiterin Jenny sind angeblich unsere Dokumente unvollständig:

  • Uns fehlt eine offizielle Importdokumentation in die USA.
  • Wir können kein australisches „Vehicle Import Approval“ vorweisen, ohne welches eine Einfuhr nach Australien und damit eine Verschiffung nicht möglich ist.

Die damalige Einreise in die USA aus Mexiko fand Anfang September wie bei allen anderen lateinamerikanischen Ländern vorher auch über den Landweg statt. Die USA war das erste Land, das keine Importpapiere für unsere Motorräder erstellte mit der Aussage, dass dies nicht nötig sei. Doch nun brauchen wir doch welche. Jenny nimmt für uns den nachträglichen Import online vor, wofür wir 275 US Dollar bezahlen dürfen. Da knirschen zwar unsere Zähne aufeinander, aber letztendlich nehmen wir den Lösungsvorschlag dankend an.

Schwieriger wird es beim geforderten Vehicle Import Approval. Hier treffen verschieden Aussagen aufeinander. Das von uns vorgewiesene Carnet de Passage soll angeblich nicht ausreichen, weswegen Jennys Anweisung lautet, die Beantragung des Approvals so schnell wie möglich online nachzuholen. Ingos Blick ist kritisch und ändert sich auch nicht, als wir nach Abgabe des Motorrads den Hof verlassen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Carnet nicht ausreichen soll“, so sein nachdenklicher Kommentar. „Ich muss mich da nochmals einlesen.“ Zurück in der Unterkunft beginnt er auch sofort, die 68 Seiten Informationsanhang zu studieren. „Warum füllst Du den Kram nicht einfach aus und schickst ihn weg. Und wenn es dann umsonst war, ist es doch auch egal.“ Das wäre mein Vorschlag dazu. Doch Ingo wäre nicht Ingo, wenn dieser Kommentar bei ihm auf Gehör stossen würde. Dem Kopfschütteln auf seiner Seite folgt konzentriertes Schweigen kombiniert mit dem Klappern der Laptoptastatur. Nach insgesamt 3 Stunden, 68 Seiten und 11 E-Mails zwischen Australien und den Reisemotten blickt Ingo vom Laptop hoch, streck sich und reibt dabei seinen schmerzenden Nacken. Mit blutunterlaufenen Augen blickt er mich an: „Ich hatte Recht, wir brauchen kein Vehicle Import Approval. Das Carnet de Passage reicht für den Import nach Australien aus. Ich habe soeben die Bestätigung der australischen Behörden erhalten. Und Jenny hat es auch eingesehen.“

Gewienert und an die Spedition übergeben. Bleibt zu hoffen, dass wir das Motorrad
in Melbourne Anfang Januar problemlos zurück bekommen.

 

Wetter:

Sonne, 20 Grad

 

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