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Der erste Eintrag ist zuoberst und neuere Einträge sind weiter unten zu finden. China Tagebuch: Claudia auf Studienreise Teil 2 Kunming in China ist die Hauptstadt der Provinz Yunnan. Das aktualle Stadtgebiet befindet sich am Nordrand des Dian-Sees und hat eine Fläche von circa 300 qkm. Die Bevölkerungszahl beträgt etwas mehr als acht Millionen inklusive von ungefähr einer Million Wanderarbeiter. Im Zentrum der Stadt ist ein modernes neues Geschäftsviertel entstanden. Das für mich zuständige Hospital liegt jedoch im alten Stadtbereich. Donnerstag 27.02.2014 Im Reich der Mitte wurde am 1. Oktober 2013 das erste chinesische Tourismusgesetz erlassen. Der Grundsatz im ersten Teil lautet wie folgt: "Ein zivilisierter Tourist zu sein ist jedes Bürgers Pflicht." Es verbietet chinesischen Touristen, sich auf Reisen, vor allem im Ausland, schlecht zu Benehmen. Wer sich nicht daran hält, muss mit Sanktionen rechnen. Es wird vor eben jenen Fauxpas gewarnt, die auf Reisen nach Europa tunlichst zu vermeiden sind: Ladet euch die Teller nicht so voll, rülpst nicht, schmatzt nicht, spuckt nicht, redet nicht so laut. Das Gesetz wurde erlassen, weil ein Teenager aus Nanking im vergangenen Jahr im Tempel von Luxor "Ding Jinhao war hier" in die Wand ritzte. Weil eine chinesische Mutter ihr kleines Kind mitten in der Abflughalle eines Flughafens auf einer Zeitung sein Geschäft verrichten liess. Weil eine chinesische Reisegruppe an Bord von Singapore Airlines sich im kollektiv weigerte, das feine Besteck wieder herauszurücken. Diese Kulturunterschiede, diese Andersartigkeiten eines Exoten im fernen Osten. Ist es nicht einfach nur zum Schmunzeln? Und was würde der Chinese in seinem Domino-Englisch dazu sagen? "Very fun! Many amuse!" Und letztendlich sind wir doch alle anders. Egal ob zu Hause oder in der grossen weiten Welt. Wir sind derjenige, für den wir uns selbst halten. Wir sind derjenige, für den uns andere halten. Und wir sind derjenige, der wir wirklich sind. Und trotzdem bleiben wir Randfiguren. In einem Spiel, in dem Loyalität und Respekt die wichtigsten Elemente sind. In einem Spiel, das keinen Sieger kennt.
Bei Gelenkproblemen wendet man Moxa auf einer Ingwerscheibe an.
Auch bei Kniegelenkschmerzen wird gemoxt. Hier eine Nadelung bei halbseitiger Gesichtslähmung. Der Patient muss viel Vertrauen zum behandelnden Arzt haben. Mittagessen! Dienstag 04.03.2014 Es hat mich fast den gesamten Nachmittag gekostet, umherauszufinden, was an Dr. Wang anders ist. Er trägt einen viel zu grossen Arztkittel, aber das ist es nicht. Auch nicht die Tatsache, dass dieser in der falschen Reihenfolge zugeknöpft ist. Es ist viel mehr die Art, wie er spricht. Wie er seine Stirn in Falten legt und dazu die Augen weit aufreisst. Wie er über den Rand seiner Brille blickt, wenn er nachdenkt. Er ist kleiner als ich. Grob geschätzt würde ich sagen, er reicht mir bis zur Schulter. Doch er ist ein enormes Energiebündel und sein kräftiger Unterkiefer lässt sein Durchsetzungsvermögen erahnen. Und dann plötzlich kann ich erkennen, was ihn von den anderen Chinesen unterscheidet, die ich bisher getroffen habe. Sein Gesicht besitzt eine ungeheurere Vielfalt an Mimiken, an Nuancen. Eine Pluralität an Muskelspielen. Wenn er diskutiert, gibt er sein Innerstes preis. Er zeigt Gefühl und Mitgefühl. Das alles lässt ihn in meinen Augen vertraut erscheinen, gibt ihm ein beinahe westliches Erscheinungsbild. Dr. Wang hat wunderschöne, gepflegte Hände und rein aus entwicklungsbiologischer Sicht verstehe ich, warum er den Beruf des Arztes gewählt hat. Mit diesen Händen muss man einfach arbeiten. Und wie er damit arbeitet! Er ist ein Artist, ein Künstler im Umgang mit den Nadeln. Er besitzt ein breites Fundament an Techniken. Und diese Masse besteht aus Individuen, die mich faszinieren. Werde ich jemals seinen Standard erreichen? Am Ende des Tages bin ich an einem Grad der Verzweiflung angekommen, der an Gelassenheit grenzt. Es ist eine Mischung aus Konjunktiv und dem Wunsch, das enge Korsett streng erlernter Regeln aufzubrechen. Zugunsten eines Konzepts ganzheitlicher Ästhetik unter dem Vorbild von Dr. Wang. Behandlungsraum, wenn er mal leer Universitätsgarten von Kunming West Pagode im Zentrum von Kunming
Sonntag 09.03.2014 Die letzte Woche meines Praktikums ist angebrochen. Der Montag war wie all die anderen Montage, Dienstage, Mittwoche, Donnerstage und Freitage. Anstrengend und energieraubend. Es schafft mich einfach, ständig unter all den Menschen zu sein, deren Sprache ich nicht spreche. Deren Gepflogenheiten darin bestehen, stets auf den letzten Millimeter an ihre Mitmenschen heranzudrängeln, den eigenen Atem an fremde Nacken zu hauchen. Zu rempeln, zu schubsen und zu schleimen. Die Art der vorherrschenden Kommunikation kann man am besten mit einem einzigen Wort beschreiben: LAUT! So sehr ich die Möglichkeit dieses Praktikums in der Klinik zu schätzen weiss, so sehr sehne ich mich nach Ruhe und Einsamkeit. Die Chinesen leben in ihrer eigenen Welt. Und dazu gehört eine grosse Portion Rücksichtslosigkeit gegenüber ihren Mitmenschen. Und dies beobachte ich täglich im Strassenverkehr, in den Warteschlangen vor den Geldautomaten, an Fussgängerampeln und beim Einkaufen. Es erstaunt mich eigentlich jeden Tag auf's Neue, da der einzelne Chinese an sich ein unglaublich nettes und interessiertes Verhalten an den Tag legt. Aber eben nur im Singular. Meiner Meinung nach hängt dies alles mit einem übervölkerten Land zusammen, in dem viel zu viele Menschen dicht an dicht nebeneinander leben. Ein Land, das vom Kommunismus geprägt ist, mit den eingesperrtesten Befreiten die es je gab. Die sich in einem fest umzäunten Bereich eines von aussen vorgegebenen Selbstverwirklichungsradius bewegen. Dort, wo die Ein-Kind-Politik für einen Überhang an männlich Geborenen sorgt und gleichzeitig die Zahl der Abtreibungen in die Höhe schnellen lässt. Wo möglicherweise das Problem graduell angegangen wird, aber nicht prinzipiell. Denn es sei die Frage erlaubt, in welche Richtung sich eine Nation entwickeln mag, die eine ganze Generation an Einzelkindern heranzüchtet. Doch zum Glück besteht die Masse aus Individuen. Und genau aus diesem Grund werden meine Wochen trotz allem von zahlreichen positiven Erlebnissen begleitet. Da ist zum Beispiel die Begegnung mit Crystal Hao, einer jungen Studentin, die wegen Schmerzen am Bewegungsapperat zur Tuina-Massage kommt. Die ein exzellentes Englisch spricht und mich spontan zu sich nach Hause zum Mittagessen einlädt. Oder einer der Akupunkturärzte Dr. Xu (sprich "Schü"), der zwei Jahre im Bremer Rot-Kreuz-Krankenhaus gearbeitet hat und der sich noch an zwei Dinge besonders gut erinnern kann: Der viele Regen in Deutschland und die saubere Luft. Wenn er sich verabschiedet, fällt ihm spontan die Bremer Art und Weise ein, dies zu tun. "Tschüss" klingt dann aus seinem Mund eher wie "tsiss" und seine Zunge steckt zwischen den vom Rauchen und Teetrinken grau gefärbten Zähnen fest. Als ich nach dem Mittagessen bei Crystal Hao wieder auf die Strasse vor ihrem Apartment trete, stelle ich mit Erschrecken fest, dass ich mich nicht mehr so recht erinnern kann, aus welcher Richtung ich gekommen bin. Wir haben den ganzen Weg über geschnattert und erschwerend kommen zwei Dinge dazu, die sich wahrscheinlich nicht nur ergänzen, sondern sogar potenzieren: Orientierungslosigkeit gepaart mit der Tatsache, als Frau geboren zu sein. Ich entdecke an der Strassenecke einen Polizeiwagen, in dem zwei uniformierte Beamte damit beschäftigt sind, Reis und Fleischstücke in sich hineinzustopfen. Gewappnet mit meinem Stadtplan nähere ich mich den beiden und deute auf das eingezeichnete TCM-Krankenhaus in der Karte. Wild fuchteln strecke ich dabei meine Armen in die Luft, um deutlich zu machen, dass ich den Weg zu besagtem Ziel nicht kenne. Die Erklärung und angedachte Lösung des Polizisten auf dem Fahrersitz ist vermutlich einwandfrei und erfolgt in fliessendem Chinesisch. Nun antworte ich meinerseits in vorbildlichem Englisch: " I really don't understand a word of what you are saying." Daraufhin greift der Polizist zu einem Stift aus der Konsole und schreibt ein einziges Wort auf seine Handfläche: "Wait!" Zwei Minuten später beendet er sein Mittagessen und öffnet die Wagentür hinter sich. Ich solle mich hineinsetzen, gestikuliert er diesmal wortlos in meine Richtung. Und kaum habe ich im Polizeiwagen Platz genommen, quietschen auch schon die Reifen und die Fahrt beginnt. Mit nur wenigen Minuten Verspätung erreiche ich meine Nachmittagsschicht im Krankenhaus und zur Verabschiedung winken mir meine Freunde und Helfer lachend und mit gutgemeinten Ratschlägen hinterher. Auch diesmal sind sie in Chinesisch und auch diesmal verstehe ich kein einziges Wort davon. Trotzdem nicke ich und lache zurück. "Xie-Xie" rufe ich. Was soll ich denn sonst auch anderes tun als mich bedanken. Dr. Wang und sein Team Cai, eine meiner Übersetzerinnen
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