24. März 2014 Das Ende

Ingos Ende der Reise

Meine letzten Tage in Perth sind angebrochen. Während sich Claudia im chinesischen Kunming Nadeltechniken und andere fernöstliche Weisheiten aneignet, gilt es für mich, die Reiseausrüstung und mein Motorrad für den Rückversand nach Zürich fertig zu machen. Waschmaschine und Trockner des örtlichen Campingplatzes haben viel zu tun. Selbst das Zelt baue ich kurzfristig ab, um es in die Trommel zu stopfen. Kurze Zeit später komme ich zu der Erkenntnis, dass ich das wohl besser nicht hätte machen sollen. Ein Zelt besteht ja aus einem einzigen Stück und verteilt sich beim Schleudergang nur bedingt gleichmässig in der Trommel. Als der Elektromotor der Waschmaschine auf höchster Beschleunigungsstufe ankommt, gibt es einen fürchterlichen Knall. So, als ob die Tür aus der Maschine springen würde. Glücklicherweise ist niemand anderes in der Nähe.

Dann steht die schwierigste Aufgabe bevor: die Reinigung des Motorrads. Der Schmutz der Strassen, der rote Sand der Wüsten, das Salz der Küsten. All das hat sich die vergangenen Kilometer festgesetzt und muss nun beseitigt werden. Ich finde eine leere Box in einer Autowaschanlage. Dampfstrahler und Schaumwäscher sind auch verfügbar, also lege ich los. Und dann wird der Platzwart auf mich aufmerksam. Er hört aufmerksam zu, als ich ihm erkläre, dass ich mein Motorrad in eine Art Neuzustand versetzen möchte. Und er hat viele Ratschläge für mich. Von Vorwäsche, kaltem Dampfstrahl im Anschluss über weissen Schaum für die Hauptwäsche und blauen Schaum für die Nachwäsche klärt er mich lückenlos über die Leistungsfähigkeit der Anlage auf. Bei der langen Prozedur verschwindet ein Dollarstück nach dem anderen in dem Münzautomat, aber das Motorrad wird nur sehr langsam sauberer. Der Platzwart hat Erbarmen mit seinem ersten Kunden aus Europa und füttert ebenfalls reichlich den Automaten wenn er vorbei läuft.

Selbst der Schlumpf muss dran glauben, von den Ohren bis zwischen seinen Zehen.

Blauer Schaum, die australische Geheimwaffe gegen den stärksten Schmutz.

Jetzt geht es heim

Dank intensivem E-Mail-Verkehr im Vorfeld und sehr motivierten Mitarbeitern bei der Spedition, klappt der Versand des Motorrades problemlos. Als ich auf den Hof fahre, war die bestellte Palette mit den Spannriemen bereits angeliefert. Nach 15 Minuten ist alles fest verzurrt und nach weiteren 30 Minuten sind sämtliche Formalitäten erledigt. So macht Motorradverfliegen Spass.

Nachdem ich selbst am Samstagabend in Zürich ankomme, folgt das Motorrad am Sonntag per Luftfracht. Die Abholung am Flughafen Zürich ist so effektiv, wie man es von der Schweiz her kennt. Innerhalb von 25 Minuten ist die Papierarbeit beendet und ich kann mich auf mein Töff schwingen. Dieselbe Prozedur dauerte in anderen Ländern bis zu 10 Stunden.

Und so geht’s weiter…

Dürfen wir vorstellen? „Victoria“ unser neuer Bulli. Wir haben den VW Bus California  bereits von Australien aus per Internet gekauft. Da wir uns zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im australischen Territorium von Victoria befanden, lag es nahe, den Namen „Victoria“ für unser neues Familienmitglied zu wählen.

Dieser Bulli setzt ein Zeichen für die Zukunft, dass Reisen für uns auch weiterhin wichtig sein werden. Mit dem Motorrad, mit „Victoria“ oder mit sonstigen Fortbewegungsmöglichkeiten.

Claudias Ende der Reise

Jetzt fang bloss nicht an zu heulen, ermahne ich mich im Stillen. Die frische Seebrise, die mir an der Küste vor Perth um die Nase weht, unterstützt meinen Dialog, den ich seit gut 20 Minuten mit mir selbst führe. Ob ich es will oder nicht, der Wehmut kommt auf. An meinem letzten der vergangenen 470 Reisetagen. Und obwohl es mein Wusch war, die Reise langsam zu Ende zu bringen, ertappe ich mich bei dem Gedanken, wie es wäre, wenn es nun doch weiter gehen würde. Mit jenen Motorrädern, die schon längst auf ihrem langen Transportweg in Richtung Europa sind, die sich nach mehr als 50.000 Kilometern eine Pause weiss Gott verdient haben. Doch wenn es tatsächlich nur um das Reisen ginge, woher kommt dann die Sehnsucht? Die Sehnsucht nach einem festen Wohnsitz, nach dem Wunsch, Freunde und Familie in die Arme zu schliessen, nach neuen beruflichen Herausforderungen, nach Zürcher Geschnetzeltem und Älpler-Rösti. All das liegt nun vor mir und deswegen schlucke ich tapfer den Kloss hinunter, der sich egoistischer Weise unterhalb meines Kehlkopfes breit machen will.

Unsere Feuerland-Alaska-Australien-Reise. Unsere ganz persönliche kleine Weltreise, obwohl es natürlich unendlich viel mehr zu sehen gibt auf dieser Welt. Doch das, was wir die letzten 16 Monate erleben durften, reklamiert für mich den Begriff der Besonderheit. Doch Besonderheit ohne Minderheit gibt es nicht. Und zu einer Minderheit zu gehören ist etwas anderes. Aber es war prima. Mit täglich neuen Wegen vor uns, wo das Unmögliche noch absolut war. Wo es jedes Mal aufs Neue galt, die vielen Fragezeichen beiseite zu räumen. Es hat uns enger zusammengeschweisst als jemals zuvor. Uns gezeigt, wer wir wirklich sind. Ingo, der geborene Abenteurer und eine Frau, die manchmal spielt, eine Abenteurerin zu sein.

Und nun sitze ich vor meiner Hühnersuppe, einer Mischung aus thailändischer Mannigfaltigkeit und vietnamesischer Jenseitigkeit. Die mit Gewürzen wie Minze, Nelken und Basilikum jene Exotik widerspiegelt, die wir über ein Jahr lang gesucht haben. Und während ich verträumt in die spiegelglatte Oberfläche blicke, inhaliere ich das aufsteigende Aroma wie das eines heilenden Erkältungsbades. Und dabei denke ich zurück an die ersten Kilometer, die wir in Chile in Richtung Süden begonnen haben. An die gnadenlosen Winde auf den nicht enden wollenden Schotterpisten Patagoniens. An das besondere Gefühl, in Feuerland am Ende der Welt zu stehen. An die Euphorie, die Urgewalten der Wassermassen am Foz do Iguazu zu erleben. An die kindliche Freude, die uns überkam, als wir nach 10 Monaten Spanisch sprechen im amerikanischen Frühstückscafe "Dennis" das Spiegelei als "sunny side up" bestellten. An die Tatsache, Teil des Ganzen sein zu dürfen, mit der Welt als Einheit zu verschmelzen. Rauchende Vulkane, eisige Gletscher, türkisfarbene Seen, endlose Sandstrände, unerreichbare Gipfel. Wir konnten uns nicht sattsehen an der Natur, die uns täglich aufs Neue überrascht hat.

Wenn gleich auch eine Frage noch nicht abschliessend beantwortet ist: die Frage nach dem besten Frühstück der Welt. Nun, hier sind Ingo und ich uns einig. Wir haben es in Brasilien gefunden. Egal wie einfach die Unterkunft war, das Frühstücksbuffett hat uns regelmässig Tränen in die Augen getrieben - vor Freude. Wenn auf mehreren Metern Länge Früchte in den unterschiedlichsten Farben und Formen aufgetischt wurden, in mundgerechten Happen appetitlich angerichtet. Wo neben frischen Fruchtsäften, Trinkjoghurts und kleinen Törtchen die weiblichen Bediensteten die Gäste freundlich lächelnd auf die Köstlichkeiten aufmerksam machten. Wo die morgendliche Inszenierung einem Schönheitswettbewerb gleichkam, sowohl auf Seiten des kulinarischen Angebots als auch der weiblichen Attraktivität. Ein moralisch, ästhetisches Gesamtpaket. Die Quinta Essentia, die den einzigen Nachteil barg, dass die körpereigenen Wahrnehmungsfilter aufgrund der dargebotenen Perfektion selektiv und regelmässig überfordert waren.

Gemeinsames Fazit:

Wir sind uns bewusst, wie privilegiert wir waren, solch eine tolle Reise machen zu dürfen. Wir sind sehr glücklich über die vergangenen 16 Monate, in denen wir gemeinsam 20 Länder durchreist haben. Wo wir emotionale Höhen und Tiefen erlebten, fantastische menschliche Begegnungen hatten und immer wieder einen grossen Traum vor Augen: immer noch weiter zu fahren. Ein herzliches Dankeschön an unsere treuen Leser, die uns immer wieder ermutigt haben, fortlaufend neue Reisegeschichten zu veröffentlichen. Das grösste Dankeschön aber schicken wir an unsere Schutzengel, die 470 Tage und Nächte über uns gewacht haben. Dank ihnen, sind wir heute unversehrt in der Schweiz zurück.

Gibt es einen höheren Sinn auf solch einer Reise? Eine Art Reflexion der eigenen Persönlichkeit? Ich meine, ohne Sinnfrage wäre das Leben doch ein Irrtum, oder nicht? Unsere Erkenntnis aus den vergangenen Monaten ist die folgende:

Sei Du selbst.

Glaube nicht alles, was Du denkst.

Frage nicht. Erwarte nicht. Bestimme nicht. Lass es einfach geschehen.

Danke…... Gracias..........Obrigado….…Thank you….….. Xie Xie….…..Merci vielmal

 

 

 

            

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